Der phönizische Meisterstreich - Kinostart: 29.05.2025

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Wes Anderson, der Meister des Skurrilen, hat einen neuen Film gemacht.
 
Was hat dieser Film außer seiner Skurrilität noch zu bieten?
 
Help yourself to a hand-grenade
 
Der reiche Geschäftsmann Zsa-Zsa Korda überlebt zum widerholten Male einen Anschlag auf seinen Leben. Er entschließt sich, seine Tochter bereits zu seinen Lebzeiten zur Alleinerbin auf Probe einzusetzen. Diese Tochter ist zwar Novizin, steht kurz davor die Gelübde abzulegen, hat den Vater seit mehr als sechs Jahren nicht gesehen und verdächtigt ihn, ihre Mutter ermordet zu haben. Aber das sind alles Nebensächlichkeiten für Zsa-Zsa, der dabei ist den Deal seines Lebens abzuschließen. Dazu müssen Vater und Tochter Korda bloß verschiedene Geschäftspartner in verschiedenen Teilen der Welt aufsuchen und übervorteilen. Also machen sie sich auf den Weg …
 
Ich beschreibe mal kurz den Beginn des neuen Films von Wes Anderson. Das Jahr der Handlung, 1950, wird eingeblendet. Man sieht das Innere eines altmodischen Flugzeugs und bewundert gleich die superbe Ausstattung. Oscar-Preisträger Benicio del Toro ist in Nahaufnahme zu sehen. Eine plötzliche Explosion reißt auf wirklich witzige Art und Weise ein Loch ins Flugzeug und einen weiteren Insassen in zwei Hälften. Es folgt lächerlicher Dialog, von del Toro grandios unterspielt und der Pilot muss ebenso plötzlich wie witzig das Flugzeug verlassen. Es folgt eine kurze Sequenz, die ein Traum oder eine Nahtoderfahrung sein kann: der Held sieht sich und biblisch wirkende Gestalten in Schwarzweiß. Schnitt zu einer Szene, im Stil alter Wochenschauberichte, in deren Verlauf die Hauptfigur die Berichterstattung über den eigenen Tod stört und mit stoischer Beiläufigkeit irgendein Organ festhält, das aus einer Bauchwunde gerutscht ist.
 
Das sind die ersten 2 Minuten von „Der phönizische Meisterstreich“. Und die nächsten 103 verlaufen ebenso: einige der besten und/oder berühmtesten Darsteller*innen unserer Zeit agieren und reagieren wie kein normaler Mensch je agieren oder reagieren würde, in einer Handlung, die keinerlei Sinn ergibt und auch gar nicht versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Das Ganze ist extrem hochwertig inszeniert und produziert. Kostüme und Bauten passen wunderbar zum Spiel der Darsteller*innen, wenn man ihnen die hohe Kunstfertigkeit ansieht und sie trotzdem mit offensichtlicher Absicht nie überzeugend wirken.
 
Und viel mehr gibt es über den neuen Film von Wes Anderson auch schon gar nicht mehr zu sagen. Hat Anderson in der Vergangenheit skurrile Filme über Familie („The Royal Tenenbaums“) oder skurrile Filme über Familie und Verlust („Darjeeling Limited“), skurrile Filme übers Erwachsenwerden und die Liebe („Moonrise Kingdom“), skurrile Filme über Liebe und Verlust („Grand Budapest Hotel“) und so weiter gedreht, hat er nun einfach nur noch einen Film gedreht, der so skurril als möglich ist.
 
Andersons letzter Film, „Asteroid City“, war noch eine skurrile Meditation über Kunst als Auseinandersetzung, aber doch schon vor allem extrem selbstreferenziell. In „Der phönizische Meisterstreich“ mit seinen vielen schrägen Details wie Sardinen aus der Dose, Schuhkartons, brennenden Armbrustbolzen und Basketballspielen in Eisenbahntunneln, die alle wenig bis gar nichts zur überschaubaren, sinnlosen Handlung beitragen, wird das Skurrile endgültig zum Selbstzweck.
 
Ja, der Film ist wieder wunderbar anzusehen. Und ja das Drehbuch bietet wieder eine Menge Interpretationsspielraum. Aber vielleicht bietet es gerade deshalb so viel Interpretationsspielraum weil es so wenig eigenen Gehalt bietet? Wo nicht viel ist, kann jeder Betrachter so viel hineininterpretieren wie er mag. Im Film bietet Geschäftsmann Zsa-Zsa Korda jedem Gesprächs- oder Geschäftspartner eine Handgranate an, als wären es Bonbons oder Zigarren, bloß weil er zu viele Handgranaten und sonst nichts mehr hat. Kann es sein, dass uns Wes Anderson in seinem Film vor allem Interpretationsspielraum anbietet, weil er zu viel davon und sonst nicht viel anzubieten hat?
 
Ich kann und will „Der phönizische Meisterstreich“ nicht als dünn oder gehaltlos beschreiben. Dazu sehen wir 105 Minuten lang einfach viel zu viel auf der Leinwand. Aber bei wirklich kritischer Betrachtung des Films, hat das Ganze etwas Unergiebiges. Irgendwann kann man nicht mehr beiseiteschieben, dass andere Filmemacher mit all diesem schauspielerischen Talent, all dem Talent hinter der Kamera und all dem allgemeinen Aufwand wohl zumindest versucht hätten, eine Geschichte zu erzählen, die es tatsächlich wert gewesen wäre erzählt zu werden.
 
Myself, I feel safe
 
Dieser Film ist eine grandiose Übung in Skurrilität. Vielleicht sogar ein Meisterwerk des Skurrilen. Aber der Eindruck des Unergiebigen bleibt, weil der Film außer seinen Schauwerten und dem Skurrilen an und für sich erschreckend wenig zu bieten hat. Wo nicht viel ist, kann es für Darsteller*innen nicht viel darzustellen geben. Benicio del Toro verleiht mit eiserner Entschlossenheit dem Wahnsinn Methode und wirkt wie die Hauptfigur in einem überlangen Monty-Python-Sketch. Damit verdient er 100 Punkte für Ausdauer, aber keine zwei Punkte für Ausdruck.
 
Wir sehen Größen wie Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe und F. Murray Abraham in Statistenrollen und andere Stars wie Bill Murray, Tom Hanks oder Bryan Cranston als Stichwortgeber. Michael Cera stellt mit lächerlichem Akzent eine Art „comic relief“-Nebenfigur in einem Film dar, der schon genug „comic“ aber eben leider nicht viel anderes zu bieten hat. Benedict Cumberbatch gibt einen Schurken, wie man ihn in jedem Kasperltheater subtiler und vielschichtiger und vor allem witziger dargestellt sieht.
 
Zu erwähnen ist noch die junge Mia Threapleton. Sie spielt eine überschaubare Ansammlung von skurrilen Handlungselementen, die niemand mit einer richtigen Rolle oder einem echten Charakter verwechseln kann. Dabei schafft sie es trotzdem einen Eindruck beim Publikum zu hinterlassen, sodass man sich wünscht, sie bald in einer echten Rolle einen echten Charakter darstellen zu sehen damit man diesen Eindruck bestätigt bekommen könnte. Und ja sie sieht wirklich ein bisschen aus wie ihre Mutter Kate Winslet in ihren frühen Filmen wie „Enigma“ oder „Iris“.
 
 
Fazit
 
Wo außer Skurrilem sonst nicht viel da ist, verkommt das Skurrile zum Selbstzweck. Wo außer Raum für Interpretation sonst nicht viel geboten wird, bleibt vor allem ein Eindruck von Unergiebigkeit zurück.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Wes Anderson
  • Drehbuch: Roman Coppola
  • Besetzung: Benicio del Toro, Scarlett Johansson