After the Hunt - Kinostart: 16.10.2025

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Wir alle kennen doch die Art von Film, über die in wikipedia unter der ...
 
... Rubrik „Rezension“ dieser eine Satz zu lesen ist: „Die Kritiken fielen gemischt aus.“ …
 
It’s a minefield! A fucking minefield, these days!
 
Alma und ihr Freund Hank lehren beide Philosophie an der renommierten Yale University. Eine oder einer der beiden soll demnächst eine Festanstellung erhalten. Auf einer Party mit Kolleg*innen und Student*innen spricht der bereits betrunkene Hank eine der Studentinnen, Almas Protegé Maggie, auf ihre Dissertation an. Nach der Party begleitet Hank Maggie nach Hause. Nachdem Maggie Hank der Vergewaltigung und Hank wiederum Maggie des Plagiats bezichtigt, gerät Alma ins Kreuzfeuer. Alma hat zwar genug eigene Sorgen, aber in dieser Auseinandersetzung gibt es keine unbeteiligten Zuschauer …
 
Luca Guadagninos („Call me by Your Name”) Film nach einem Drehbuch von Debüt-Drehbuchautorin Nora Garrett ist eine schwer zugängliche Mischung aus einer großartigen Grundidee, einigen wirklich guten Einfällen und leider ebenso vielen furchtbaren Ideen und üblen Fehlentscheidungen.
 
Die Grundidee ist überaus originell. Der Film erzählt zwar die Geschichte eines dieser traurigen und häufigen Fälle von „he said, she said”, es geht ihm aber überhaupt nicht um die Frage, wer „Recht“ hat oder am die „Wahrheit“ gesagt hat. Recht und Wahrheit sind so subjektiv, dass sie nur noch für den Einzelnen selbst von Belang sind. In diesem Film geht es tatsächlich um ganz andere Themen, wie „cancel culture“, wer wie und warum „gecancelt“ wird und von wem. Es geht darum, wie unterschiedlich das Leben und Erleben verschiedener Generationen ist und wie diese gravierenden Unterschiede sich in Unvereinbarkeiten und gegenseitigem Unverständnis manifestieren.
 
An einer der besten (und ich gebe es gerne zu, für den Angehörigen der Generation X, der diese Zeilen verfasst, befriedigendsten) Stellen des Films muss sich die ohnehin bereits schwer belastete Professorin von ihrer Studentin anhören, „I don't feel comfortable having this conversation with you anymore.“ und antwortet darauf: „Not everything is supposed to make you comfortable, Maggie. Not everything is supposed to be a lukewarm bath for you to sink into until you fall asleep and drown.“. Diese Botschaft, für die Professorin (Julia Roberts ist Jahrgang 1967) eine Offensichtlichkeit des Lebens, hat keinerlei Chance zu der jungen Studentin (Millennial? Generation Z? Keine Ahnung) durchzudringen.
 
In diesem Film geht es nicht um „Schuld“. Wenn überhaupt geht es um Verantwortung und Konsequenzen. Mehr noch geht es um Grenzen. Denn auch wenn es natürlich gut ist, wenn Grenzen sich im Lauf der Zeit verschieben, werden diese doch zur gleichen Zeit von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich wahrgenommen werden. Daher können wir den sympathischen Hank als lockeren lebenslustigen Typen wahrnehmen und trotzdem zusammenzucken, wenn er bereits in der ersten Szene einer jungen Studentin zur Bekräftigung seiner Worte, die Hand aufs Knie legt.
 
In diesem Film geht es auch um Privilegien. Denn auch wenn es wichtig ist, sich dieser bewusst zu sein, werden auch diese zur gleichen Zeit von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich wahrgenommen werden. Und so kann sich Maggie als junge, afroamerikanische, lesbische Frau unverstanden und benachteiligt fühlen, obwohl ihre vermögenden Eltern zu den größten Gönnern der Universität gehören und ihr Studienabschluss damit längst gesichert ist. Eine weitere grandiose Dialogzeile des Films darf und muss von Vertretern aller Generationen hinterfragt werden: „If it’s real to you, it’s real“.
 
Dieses wirklich originelle Konzept und die überaus interessante Geschichte des Films werden an verschiedenen Stellen durch einzelne wirklich sehr gute Einfälle des Drehbuchs und der Regie verdichtet. Ein Szene in der Almas stets zuvorkommender Ehemann auch einmal genug von einem Gast hat und eine andere, in der Alma spätnachts heimkommt und den Laptop des schlafenden Ehemannes zuklappt, auf dem noch die Pornowebsite geöffnet war, lassen überaus interessante Einblicke in das Leben und die Beziehungen der Figuren zu. Wenn zwei Figuren während eines heftigen Streits immer wieder aus der Tiefenschärfe herausrutschen, wird uns damit das für sie so wichtige emotionale Erleben der Figuren vermittelt.
 
Isn’t it obvious?
 
Leider liefern sowohl Drehbuch als auch Regie zu viele furchtbare Ideen und üble Fehlentscheidungen. Die gesamte Nebenhandlung mit einem Suchtproblem, einem weiteren gesundheitlichen Problem und einem Jugendtrauma der Hauptfigur ist nicht nur überflüssig, sie stört sogar. Dieser Film bietet auch ohne all das bereits genug Drama. Durch noch mehr Drama wird er nicht dramatischer. Wenn nichts von alldem aufgelöst wird, bleibt der Betrachter ratlos zurück. Hatte das Suchtproblem mit dem gesundheitlichen Problem zu tun? Hatte das eine das andere bedingt? Wie lange war die Figur schon süchtig? Sollen wir annehmen, das Jugendtrauma hätte die Sucht bedingt? Was sollte das alles? Und wozu?
 
Und was soll diese wirklich furchtbar plumpe Filmmusik von Trent Reznor und Atticus Ross? Die beiden sind begabte Musiker, deren Musik zu so unterschiedlichen Streifen wie „Gone Girl“, „Bird Box“ oder „Empire of Light“ sicher nicht jeweils das Beste an diesen Filmen war, aber doch nie störend aufgefallen ist. An mehr als einer Stelle von „After the Hunt“ wirkt die Musikuntermalung nicht nur plump und aufdringlich sondern regelrecht manipulativ. Wieso möchte man mehr als einmal den Komponisten zurufen, „Ja, ich habe verstanden! Es ist gerade dramatisch! Danke!“?
 
Und wieso sehen wir in „After the Hunt“ die Hauptfigur in fast jeder einzelnen Szene und bekommen so den Film also aus ihrer Perspektive erzählt, wenn nach knapp 90 Minuten eine einzige Szene ohne diese Hauptfigur rein gar nichts zur Handlung und zum Verständnis des Films oder einer seiner Figuren beiträgt? Diese eine, einzige Szene ohne die Hauptfigur stört mit ihrer Überflüssigkeit den Fluss der Erzählung und bringt einen zu dem Zeitpunkt ohnehin bereits etwas unausgewogenen Film gefährlich ins Wanken.
 
Die allgemeine Unausgewogenheit setzt sich leider auch in den Leistungen der Darsteller*innen fort. Denn wo der stets verlässliche Michael Stuhlbarg das Kunststück einer unspektakulären Meisterleistung vollbringt, wirkt die junge Ayo Edebiri noch ein bisschen selbstgefälliger und bequemer als es ihre Rolle ohnehin von ihr verlangt. Stuhlbarg macht, was er am besten kann und in vielen Filmen wie zuletzt „Bones and All“ und „The Instigators“ schon so oft gezeigt hat: in wenigen Szenen vermittelt er in einer Nebenrolle nicht einfach nur einen komplexen Charakter, sondern ein ganzes Leben. Ayo Edebiri, bekannt u.a. aus der TV-Serie „The Bear“, schafft es leider nie, auch für ihre Figur Sympathie oder wenigstens Verständnis zu wecken. Unter anderem deshalb kippt der Film zuweilen in die Einseitigkeit.
 
Aber man will Ayo Edebiri daraus keinen Vorwurf machen, muss sie doch unter anderem gegen den Darsteller anspielen, der diesen Film vor dem künstlerischen Scheitern bewahrt und sehenswert macht. Nur wenigen Darsteller*innen gelingt es jemals, einen ganzen Menschen darzustellen. Noch seltener gelingt das Kunststück, das Andrew Garfield hier vorführt, einen Menschen in seiner ganzen Menschlichkeit, mit all ihrer Widersprüchlichkeit und Ambivalenz darzustellen. Wie so viele echte Menschen ist sein Hank gleichzeitig cool und impulsiv, aufmerksam und egozentrisch, brillant und strohdumm, offen, modern und doch voreingenommen, … all diese Gegensätze vermittelt Andrew Garfield mühelos und zeigt nicht nur eine der besten sondern auch menschlichsten Darstellungen dieses Jahres.
 
Von „mühelos“ kann bei Julia Roberts keine Rede sein. Ihr sieht man die Mühe an, die ihr die Aufgabe bereitet, eine intelligente Frau mit gravierenden Problemen nachvollziehbar darzustellen. Roberts konnte während der ersten Hälfte ihrer Karriere mit ihrem Grinsen und ihrer Mähne davon ablenken, was für eine bestenfalls passable Darstellerin sie immer war. Ihr Oscar für „Erin Brockovich“ steht auf einer der obersten Plätze der langen Liste von unverdienten Oscars (im selben Jahr war u.a. Ellen Burstyn für „Requiem for a Dream“ nominiert, für eine Leistung wie man sie nur alle paar Jahrzehnte auf der Leinwand zu sehen bekommt).
 
Seither hat Roberts ihre Darstellungskunst leider nicht wirklich weiter entwickeln können. Und so sieht man Ihr die Mühe an, die sie mit der Darstellung dieser schwierigen Figur in diesem schwierigen Film hat. Aber irgendwie überträgt sich die Überforderung der Darstellerin Julia Roberts auf die Überforderung der von ihr dargestellten Figur und lässt die Darstellung nicht immer aber doch im Großen und Ganzen halbwegs funktionieren, so wie dieser ganze Film am Ende nicht immer aber doch im Großen und Ganzen halbwegs funktioniert.
 
 
Fazit
 
Oft sieht man Filme, über die in wikipedia unter der Rubrik „Rezension“ zu lesen ist: „Die Kritiken fielen gemischt aus.“. Aber selten sieht man Filme, über die bereits eine einzelne Kritik gemischt ausfällt. „After the Hunt“ enthält ungefähr gleich viel Gelungenes und Interessantes wie Misslungenes und Banales. Und so fällt das Fazit tatsächlich „gemischt“ aus.
 
Epilog
 
Einer der vielen Schwachstellen von „After the Hunt” bildet ein Epilog, der nicht nur überflüssig ist, sondern weite Teile der vorangegangen Handlung abschwächt und leider sogar abwertet. Dieser Epilog macht den Film am Ende nur noch ein bisschen schwerer zugänglich. Dem Vorbild dieses Films folgend möchte ich meiner Rezension einen Epilog nachreichen:
 
Die meisten echten Filmfans kennen die Schrifttype „Windsor Light Condensed“. Sicher nicht dem Namen nach (ich musste selbst nachschlagen), aber echte Filmfans sehen diese Schrifttype seit bald 50 Jahren in den Vor- und Abspannen der Filme von Woody Allen. Natürlich ist Woody Allen, abgesehen von seinen menschlichen Qualitäten (oder Defiziten) ein einflussreicher Filmemacher.
 
Die Szenen in „After the Hunt“, in denen sich Intellektuelle in der ebenso eleganten wie weitläufigen Wohnung der Hauptfigur unterhalten, sind ganz offensichtlich von Filmen wie „Hannah und ihre Schwestern“ oder „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ inspiriert. Warum sich aber im Jahr 2025 ein Filmemacher entscheidet, seinen Film, in dem es um sexuellen Missbrauch geht, mit einem Vorspann beginnen und einem Abspann enden zu lassen, die beide in der Schrifttype „Windsor Light Condensed“ verfasst sind, wird mir wohl ein Rätsel bleiben müssen.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Luca Guadagnino
  • Drehbuch: Nora Garrett
  • Besetzung: Julia Roberts, Andrew Garfield