Tár - Kinostart: 02.03.2023

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„TÁR“ ist für insgesamt sechs Oscars nominiert, darunter als „Bester Film“.
 
Aber hat der Film diese Nominierungen verdient?
 
Don’t be so eager to be offended!
 
Dirigentin Lydia Tár steht an der Spitze. Als einzige Frau weltweit leitet ein großes Sinfonieorchester. Ihre Interpretation von Gustav Mahlers 5. Sinfonie soll ein weiterer Triumph werden. Die Probenarbeit ist anstrengend. Trotzdem protegiert Tár eine junge Cellistin. Nicht nur ihrer Ehefrau, die gleichzeitig Konzertmeisterin des Orchesters ist, wird schnell klar, dass die Dirigentin Hintergedanken hat. Nachdem eine junge Musikerin und früheres Protegé Társ auch noch Selbstmord begeht, spitzt sich die Lage zu …
 
„TÁR“ wird als Meisterwerk gehandelt. Weltweit wird der Film von der Kritik gefeiert und hat bereits unter anderem den Bafta für den besten Film und die beste Hauptdarstellerin verliehen bekommen. In den folgenden Rubriken wurde er für einen Oscar nominiert: Bester Film, Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch, Beste Hauptdarstellerin, Beste Kamera und bester Schnitt. Gehen wir die Oscarnominierungen mal in umgekehrter Reihenfolge durch.
 
Monika Willi war u.a. für den Schnitt von Filmen wie „Die Klavierspielerin“ und „Das weiße Band“ verantwortlich. Frau Willi weiß was sie tut. Ihre Arbeit an „TÁR“ bildet eine hervorragende Ergänzung zur Kameraarbeit von Florian Hoffmeister. Hoffmeister hat bisher an Filmen wie „Mortdecai“ und „Johnny English – Man lebt nur dreimal“ gearbeitet. Hier verblüfft er uns bereits in einer frühen Szene, wenn er der lehrenden und belehrenden Hauptfigur minutenlang mühelos durch den Raum folgt. Ob Willi und Hoffmeister auf ihren Gebieten die besten Leistungen des Jahres gezeigt haben, ist schwer zu sagen. Aber die Nominierungen haben sie sicher verdient.
 
Cate Blanchett ist für ihre Darstellung absolut zu Recht wieder einmal für einen Oscar nominiert. Dazu später mehr. Autor und Regisseur Todd Field wurde vor mehr als zwanzig Jahren mit dem kantigen, schwierigen Independent-Film „In the Bedroom“ bekannt. Sein nächster Film, „Little Children“ von 2006 war ein ambitioniertes Gesellschaftsbild, funktionierte aber nicht in jeder Hinsicht. „TÁR“ ist Fields erster Spielfilm seit mehr als fünfzehn Jahren.
 
Und auch „TÁR“ ist extrem ambitioniert, funktioniert aber gar nicht richtig. Daran ist vor allem das Drehbuch Schuld. Zunächst mal muss man sich fragen, was der Sinn dieser Geschichte sein soll? Wozu brauchen wir in Zeiten von „MeToo“ und nach allem, was wir über die Machenschaften von Männern wie Placido Domingo wissen, einen Film, in dem eine erfolgreiche Frau ihre Macht für sexuelle Gefälligkeiten ausnutzt? Ja, wenn man – wie jeder vernünftige Mensch - davon ausgeht, dass Frauen alles können was Männer können, muss man auch davon ausgehen, dass Frauen natürlich auch ihre Machtpositionen für sexuelle Nötigung ausnutzen können. Und vermutlich kommt das durchaus auch vor.
 
Aber selbst wenn es solche Fälle geben mag, kommen in jeder Branche Hunderte, wenn nicht Tausende von Männern wie Harvey Weinstein, Prince Andrew, Louis C.K., Kevin Spacey oder Placido Domingo auf eine Frau, die sich vielleicht wie Lydia Tár aufführen mag. Mit den Ursachen dafür dürfen sich Soziologen und andere Experten befassen (die geringe Zahl von Frauen in echten Machtpositionen und die Tatsache, dass sie für den gleichen Erfolg viel härter arbeiten müssen als Männer, wären nur die ersten beiden Punkte auf einer langen Liste). Wozu soll also ein Film gut sein, der eine mächtige Frau zeigt, die von ihrer eigenen Lust auf junge Frauen zu Fall gebracht wird?
 
 
Und warum muss diese Geschichte so plump, teilweise konfus und in vielerlei Hinsicht dumm erzählt werden? Der Film beginnt mit einem Interview mit der Dirigentin, in dem uns vom Interviewer minutenlang nur Exposition erzählt wird. Ich führe regelmäßig Interviews mit Künstlern und habe noch nie die Notwendigkeit verspürt, den Interviewpartnern zur Einleitung ihren ungekürzten Lebenslauf vorzutragen oder sie zur Historie ihrer Kunstform zu befragen.
 
Trotz all dieser Exposition lernen wir fast nichts über die Hauptperson. Zweimal wird ihre Mutter erwähnt. Tár entstammt wohl der unteren Mittelschicht. Gegen Ende des Films kehrt sie für zwei kurze Szenen in ihr Elternhaus zurück. Aber wozu? Woher kommt diese Frau? Was bewegt sie? Warum tut sie, was sie tut?
 
Was sollen diese eher plumpen Traumsequenzen ab der Hälfte des Films? Wozu soll die Szene mit der nackten, alten Frau gut sein? Wer bisher nicht mitbekommen hat, welche Probleme die Hauptfigur mit dem eigenen Altern hat, wird davon doch auch nicht schlauer. Die Frau stürzt bei der Suche nach einer jungen Frau und verletzt sich im Gesicht, bevor sie über ihr Interesse an einer jungen Frau beruflich stürzen und ihr Gesicht verlieren wird. Wirklich sehr subtil. Wem hilft die klischeehafte Szene mit dem Kind vor der Schule? Soll der vorhersehbare „Gag“ mit der Frage der Nachbarn nach der Musik witzig sein?
 
Warum ist die Hauptfigur überhaupt eine Frau? Abgesehen von zwei oder drei Szenen, wirkt es als hätte man ein Drehbuch für eine männliche Hauptfigur mit einer weiblichen Hauptdarstellerin besetzt. Ich wünsche mir seit Jahren "genderblind casting". Aber doch nicht bei einer solchen Geschichte bei der es um Machtmißbrauch für sexuelle Gefälligkeiten geht.
 
Die peinliche „Pointe“ zum Finale war vorhersehbar, aber vielleicht nötig, um den tiefen Fall der Hauptfigur zu illustrieren. Doch wozu brauchen wir dann noch einen viel zu langen Epilog, der wohl peinlich gemeint ist, aber aufs Publikum aus ganz anderen Gründen peinlich wirkt? Am Ende des Films erkennen wir, die Nominierung für die beste Regie ist bloß unverdient, während die für das beste Drehbuch ein schlechter Scherz ist. Wir haben hier ein oscarnominiertes Drehbuch auf dem Niveau eines sehr mittelmäßigen Fernsehfilms.
 
She wasn’t one of us
 
Gerettet wird der ganze Film einzig und allein von Cate Blanchett. Sie ist eine der größten Darstellerinnen unserer Zeit. Sie hat unzählige Filme wie „Aviator“, „Wer ist Hanna?“ und „Thor: Ragnarok“ durch ihre Mitwirkung aufgewertet. Filme wie „Blue Jasmine“ oder „Carol“ hätten ohne sie sicher niemals die gleiche Wirkung erzielt. Ihre Darstellungen waren im Lauf ihrer Karriere mehrmals das einzig interessante an so unterschiedlichen Filmen wie „Banditen!“, „The Good German“ und „Indiana Jones, der Kühlschrank und die Aliens“. Aber selbst Cate Blanchett hat noch nie zuvor einen Film so absolut allein getragen wie „Tár“.
 
Dabei müsste Cate Blanchett doch eine absolute Fehlbesetzung sein. Das Drehbuch handelt von einer Frau, die geradezu lächerlich dumm ist. Bis vor kurzem wäre ich der Meinung gewesen, Cate Blanchett ist viel zu intelligent um ernsthaft eine dumme Person spielen zu können. Blanchetts Figur im Film könnte niemals so lange so dumm agieren, wie sie das tut. Der Versuch der Dirigentin, spät im Film auf einer Dienstreise eine Affäre zu initiieren, ist einfach nur absurd. Aber irgendwie schafft Cate Blanchett es, eine unpassend dumme Person nach einem unpassend dummen Drehbuch zu spielen und selbst dabei zu brillieren.
 
Der Rest der Besetzung arbeitet zum großen Teil durchaus kompetent. Aber Nina Hoss („Pelikanblut“) kann als Ehefrau nur farblos bleiben. Noémie Merlant („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) wirkt erst verzweifelt und dann enttäuscht. Es gibt ein Wiedersehen mit dem betagten Julian Glover („For Your Eyes Only“). Und Mark Strong („Shazam!“) ist mit Perücke kaum zu erkennen. Sie alle sind natürlich viel zu gute Darsteller*innen, um hier bloß Stichworte zu geben. Das gilt nicht für Sophie Kauer. Sie spielt das Objekt von Társ Begierde so ungeschickt, dass man sich fragen muss, warum die Dirigentin sich überhaupt für sie interessieren sollte.
 
 
Fazit
 
Ein unterdurchschnittliches Drehbuch, eine halbwegs kompetente Regie und eine grandiose Hauptdarstellerin ergeben in Summe leider keinen guten Film. Und ganz sicher keinen besten Film des Jahres.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Todd Field
  • Drehbuch: Todd Field
  • Besetzung: Cate Blanchett, Nina Hoss