Roads - Kinostart: 30.05.2019

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Die Geschichte hört sich bekannt an: Zwei Jugendliche, die inmitten ihrer ...
 
... ersten großen Lebenskrise zusammenfinden, sich spontan hinters Steuer setzen und einfach mal drauf losfahren. Hinaus in die Ferne, hinaus ins Abenteuer, weit weg von den Problemen, die ihnen den Alltag zu Hause so schwer machen. Paart man diese Geschichte mit der heutigen Flüchtlingsthematik bekommt die Story ein sehr aktuelles Update...
 
Rassismus-Selbsttest
 
Wenn Sie folgende Begriffe hören, was für eine Person stellen Sie sich vor? Bei dem Begriff „Lehrer“ denke ich beispielsweise an eine Frau mit rötlich-braunen lockigen Haaren. Sie ist ungeschminkt, trägt eine Brille und hat einen eher schlichten Kleidungsstil. Wenn ich dagegen an einen Verbrecher denke, dann kommt mir sofort ein Südländer in den Sinn, gut versorgt an Testosteron, Gel in Haaren und selbstverständlich mit Vollbart. Wie sähe daneben dann ein Sonnenbrillenverkäufer aus? Ganz klar dunkelhäutig und gut verteilt an den touristischen Stränden Europas. Seien Sie ehrlich. Haben Sie sich etwas anderes vorgestellt?
 
Mit solchen inszenierten Spielchen spricht Roads das Problem an, welches sich seit und mit der Flüchtlingswelle wieder stärker in unserer Gesellschaft verbreitet hat: Alltagsrassismus und von Vorurteilen geprägtes Denken. Roads legt es drauf an, ein möglichst zeitgenössischer Coming of age Streifen über die Flüchtlingskrise und vor allem über die Freundschaft zwischen zwei völlig verschiedenen Welten zu sein. Die Geschichte beginnt mit dem direkten Aufeinanderprallen dieser. Unser, wohl betont, weißer und britischer Protagonist Gyllen (Fionn Whitehead) hat, wie man später erfährt, mit seiner Mutter, seinem Stiefvater und der kleinen Schwester Campingurlaub in Marokko verbracht. Rebellisch, wie er als 18jähriger Taugenichts eben ist, hat er den Camper geklaut, um sich allein auf den Weg von Marokko nach Frankreich zu machen, um zu seinem leiblichen Vater zu fahren. Weit ist er nicht gekommen, denn die erste Szene zeigt wie er verzweifelt versucht den Motor des Campers zu reparieren und das mitten im Nirgendwo. William (Stéphane Bak), ein, wohl betont, schwarzer Geflüchteter aus dem Kongo, kommt ihm zu Hilfe.
 
Ohne einen Funken Misstrauen, bietet ihm Gyllen an mitzufahren. Erst lehnt William dies ab, doch natürlich, wie es der Zufall oder eher das Schicksal will, kreuzen sich ihre Wege erneut bevor Gyllen zwei marokkanischen Halsabschneidern zum Opfer fällt. Die beiden Jungs starten also nun gemeinsam ihre Reise. Schon allein dank dem oscarschweren Dunkirk sollte der Jungschaupieler Fionne Whitehead ein ein Begriff sein. Auch Stéphane Bak, den man eher aus dem französischem Kino kennt, kann dank seiner kleinen Performance in Elle ebenfalls von sich behaupten in einem Oscar nominiertem Film mitgespielt zu haben. Die erwarteten schauspielerischen Leistungen werden in ihrem ersten gemeinsamen Projekt bestätigt. So unterschiedlich die beiden auch aussehen mögen, sie harmonieren perfekt vor der Kamera und man kauft ihnen den guten Draht zueinander zweifellos ab.
 
Die beiden Figuren lernen sich kennen und Gyllen, das muss man ihm wirklich hoch anrechnen, lässt kein einziges Mal den Weißen raushängen, dem das Wort Vorurteil schon auf die Stirn geschrieben wurde. Er behandelt William völlig unvoreingenommen und das einzige, was ihm nicht passt, ist die Tatsache, dass William ein T-Shirt seines Hass-Teams Chelsea trägt. Man darf hier jedoch nicht außer Acht lassen, dass William vielleicht nicht unbedingt der Prototyp eines Geflüchteten ist. Klar, seine Figur soll dazu dienen diejenigen, die den Status „geflüchtet“ tragen in ein besseres Licht zu rücken. Und es stimmt, so wie die Menschen ohne jenen hässlichen Status, gibt es Geflüchtete aller Arten, Charaktere und Schichten. Meine Cousine beispielsweise ist erst seit ein paar Jahren in Deutschland und trägt ebenfalls diesen Stempel. Allerdings arbeitet sie mittlerweile, spricht fließend Deutsch und geht wohl nie ohne ihre Gucci-Brille und ihren Burberry-Mantel aus dem Haus.
 
William gehört eindeutig zu einer gebildeteren Schicht, was man allein schon anhand seiner guten Sprachkenntnisse merken kann. Wäre er einer der Kandidaten gewesen, die an Silvester 2017 am Kölner Dom rumgelungert haben, dann hätten sich die beiden wahrscheinlich nicht verständigen können und er hätte Gyllen bei der ersten Gelegenheit in der Wüste abgesetzt, um sich seinen Camper unter den Nagel zu reißen.
 
Ja, es ist ein Deutscher Film!
 
Sebastian Schipper, der schon mit seinem Arthouse-Geniestreich „Victoria“ für Aufsehen gesorgt hat, führt hier bei seinem ersten internationalen Film Regie und hat zusammen mit dem erfolgreichem Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg sogar das Drehbuch geschrieben.
 
Da könnte man doch eigentlich drauf wetten, einen der üblichen Verdächtigen an deutschen Kinostars zu sehen und ta da: Nach 20 Minuten sitzt dann auch schon kein Geringerer als Moritz Bleibtreu in Form eines tätowierten, Drogen dealenden Hippies im Camper.
 
Zugegeben habe ich immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich höre, dass es sich um eine deutsche Produktion handelt. Leider Gottes gehören abgedroschene Komödien mit überdrehten Fäkalwitzen, fragwürdigen Sex-Szenen, einfallslosen Zusammenhängen und mittelmäßigem Schauspiel nicht zu dem, was ich mir gerne im Kino oder überhaupt irgendwo anschaue. Allerdings merkt man an Schippers ruhiger, beobachtender Führung, dass der deutsche Film auch anders kann! Nichts von den bestehenden Klischees wurde hier verwendet und alles ist perfekt auf die beiden Hauptdarsteller zugeschnitten worden, die die Handlung ohne große Mühe unterhaltsam und spannend voran bringen.
 
Es wurden sogar extra Locations gewählt, in der auch die Flüchtlingskrise ihre Spuren hinterlassen hat, also vorzugsweise an den Grenzgebieten Frankreichs. Gut, ein Klischee bleibt uns erhalten. Der gute Hippie Bleibtreu hat als kurzzeitiger Gefährte sein Hasch im Camper vergessen und die zwei Halbstarken scheuen sich nicht davor, sich zu zweit oder auch mit der ein oder anderen Gruppe reisender Teenager mal ordentlich zuzudröhnen und eine ganze Camper-Party steigen zu lassen. Klar, die beiden sind (fast) 18 und mitten in einem Alter, wo die ersten Sinnfragen losgehen.
 
Was will man machen, wer ist man wirklich? Was muss man alles erleben? Wo will ich überall mal gewesen sein? Letzte Frage spricht wohl den Großteil einer ganzen Generation aus der Seele. Reisen, Abenteuer, Freiheit. Man will locker sein, man will etwas erleben, etwas erzählen können, abweichen von der Norm, denn diese ist einengend und öde. Eine Reise mit einem Camper ist auch laut Instagram wohl ein Trend unter den an Fernweh leidenden Menschen, die allgemein oder mal wieder nicht zufrieden mit dem Leben in ihrer Heimat sind. Unser Protagonist Gyllen ist dafür das Beste Beispiel. William hat noch eher ein Ziel vor Augen. Wie wir später erfahren, ist er auf der Suche nach seinem verschollenem Bruder. Da er sich lang nicht mehr gemeldet hat, hat er ebenfalls den Kongo verlassen, um ihn im Norden Frankreichs zu suchen.
 
 
Kein typischer Roadmovie
 
Mit einer längeren Einstellung, in denen nur die beiden hinter der Frontscheibe zu sehen sind, wird ganz einfach vermittelt wie lang diese Reise eigentlich ist. Wind, Regen, Sonne, Fast Food sind ihre täglichen Begleiter auf der Autobahn. Etwas schade ist, dass Roads nie das Potetial der Länder ausnutzt, die durchquert werden. Es könnten Landschaften gezeigt werden, Strände, Menschen, eben die ganzen Gründe warum man überhaupt einen Roadtrip antritt. Doch alles was man zu sehen bekommt ist eben das Leben der beiden in diesem kleinem Camper. Die beiden mögen sich auch ohne Zweifel. Sie gehen schon so locker miteinander um, als würden sie sich ewig kennen. Sie wirken bis dato wie zwei völlig normale Teenager, ohne Hintergrund, ohne Unterschied. Klug inszeniert worden ist, dass man als Zuschauer immer wieder auf die Probe gestellt wird. Denn man beobachtet Gyllen scheinbar völlig entspannt dabei den ein oder anderen Fremden in sein Wohnmobil zu lassen. Es fällt schwer das zuzugeben, doch es entsteht ein mulmiges Gefühl dabei zuzusehen wie nach und nach immer mehr Farbige Menschen mit immer weniger Papieren dazu kommen. Es entsteht sogar Misstrauen gegenüber unserem Freund William, was selbstverständlich völlig unbegründet ist.
 
First World Problems sind auch Problems
 
Anfangs wirkt Gyllen wie ein verwöhnter Teenager, der wenn er erst einmal die Geschichte seines kongolesischen Freund zu hören kriegt, bemerkt wie dämlich seine Teenagerprobleme eigentlich sind. Doch als man ihn so im Kreise der Familie zu sehen bekommt, fragt man sich wirklich wer von den beiden in der tristeren Lage steckt. Gyllen ist zwar derjenige, der „reich“ groß geworden ist, allerdings ist dies längst keine Garantie für ein glückliches Leben. Die Eltern, getrennt und neu vergeben, haben bzw. bekommen weiteren Nachwuchs und Gyllen ist irgendwie verloren dazwischen. Wie so viele in seinem Alter, muss er als Scheidungskind einiges verarbeiten und fühlt sich nicht als Sohn, sondern mehr als das, was von den alten Beziehungen der Eltern übrig geblieben ist. Eine Last, die im Weg eines kompletten Neuanfangs steht. Man glaubt ihm, dass er von seiner Mutter geflohen ist, als er verrät, dass eine Ohrfeige das ehrlichste war, was er in letzter Zeit von ihr gesehen hat. Man versteht ihn auch, wenn er von seinem Vater enttäuscht wird.
 
Seine coole, rebellische Fassade beginnt zu bröckeln und man begreift, dass auch er nur nach einem Neuanfang, nach einer Freiheit strebt, die ihm ein glücklicheres Leben garantieren. Genau wie William, nur eben jeder auf seine Art und Weise.
 
Letzterer wirkt dagegen stets sehr gefasst, obwohl der Weg, den er von der Begegnung mit Gyllen hinter sich gebracht hat, nicht einfach war. Das Streben nach Freiheit wird bei ihm eher klein gehalten, da es ihm eher um die Suche nach seinem Bruder geht. Auch bei Begegnungen mit rassistischen Menschen, die zugegebener Maßen eher so wirken, als würde man etwas beigefügt haben, um es abhaken zu können, bleibt William cool.
 
Gyllen, der seinen Freund verteidigt und beschützen will, übernimmt hier den emotionalen Part, der eigentlich William besser gestanden hätte. Doch das rührende an dieser Freundschaft ist die Ehrlichkeit und Loyalität, mit der diese aufgebaut worden ist. Das zeigt sich nicht nur durch die passenden, oft sogar, für 18jährige, recht reife Dialoge, sondern auch in dem Verhalten zu einander. In dem Films steckt unheimlich viel Potential. Nur manchmal hat man das Gefühl, dass man es sich zu einfach gemacht hat. Ein Roadmovie muss natürlich keine wilde Achterbahnfahrt sein mit verrückten Situationen, gefährlichen Leuten und wilden Abenteuern. Auch in Roads passiert viel. Allerdings immer noch auf eine bedachte Art und Weise, um möglichst realistisch zu wirken. Es ist jedoch fragwürdig, ob es wirklich sein kann, dass alle Hürden, die zu überwinden sind, so problemlos gemeistert werden, wie in diesem Film dargestellt.
 
 
Fazit
 
Alles in allem ist es ein gut verpacktes, realistisches Coming of Age Drama mit tollem Schauspiel- Nachwuchs, welches wahre Freundschaft lobpreist und einem ein angenehmes Gefühl der Hoffnung hinterlässt, dass unsere Gesellschaft sich in jedem Falle zum Besseren wenden kann. Roadmovie Fans, denen es in erster Linie um Abenteuer in möglichst verschiedenen Ländern geht, könnten allerdings ein wenig enttäuscht werden.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Nadja Goldhammer
  • Regie: Sebastian Schipper
  • Drehbuch: Oliver Ziegenbalg
  • Besetzung: Moritz Bleibtreu, Fionn Whitehead