Lurker - Kinostart: 18.12.2025

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Wäre es nicht eine nette Abwechslung, mal wieder einen interessanten Film ohne...
 
... Superhelden, blaue Aliens oder böse und gute Hexen im Kino zu sehen? Man könnte sich stattdessen einen Film über echte Menschen in der modernen Welt ansehen …
 
I need a real person
 
Zitat aus dem der Einladung zur Pressevorführung „Der schüchterne Verkäufer Matthew führt ein eintöniges Leben in Los Angeles, bis er auf den charismatischen Oliver trifft, einen aufsteigenden Popstar kurz vor dem Durchbruch. Fasziniert von dessen Anziehungskraft und Kreativität, drängt sich Matthew immer tiefer in Olivers Welt. Was als stille Bewunderung beginnt, entwickelt sich zu einer gefährlichen Nähe, in der die Grenzen zwischen Freundschaft und Besessenheit, Inspiration und Manipulation zunehmend verschwimmen. Doch als Matthews Einfluss schwindet, ist er zum Äußersten bereit …
 
Dieser Text ist inhaltlich nicht komplett falsch, enthält aber genug Ungenauigkeiten, Halbwahrheiten und Übertreibungen, dass er schon irreführend ist. Ich will den Text des Verleihs aber gar nicht kritisieren. Denn er passt tatsächlich durchaus zum ersten Spielfilm von Alex Russel.
 
Es ist absolut verständlich, wenn der Verleih „Lurker“ als Thriller im Stil von „Der talentierte Mr. Ripley“ propagiert. Zu einen will der Verleih die Leute ins Kino bringen. Zum anderen könnte man diesen Film tatsächlich so sehen und durchaus unterhalten werden. Aber Alex Russel erzählt hier eine vielschichtiger Geschichte, der man sich auf mehr als einer Ebene nähern kann. Aufmerksamen Betrachter*innen wird hier ein zutiefst menschliches Drama angeboten, das uns zum Nachdenken über verschiedene Themen anregen kann. Über Beziehungen und Abhängigkeiten in der modernen Welt, über die Inflation an dem was man bei uns „Prominent“ und auf der anderen Seite des Atlantiks „Celebrity“ nennt, über den Unterschied zwischen Sein und Schein, …
 
Matthew wirkt im Film vielleicht zunächst „schüchtern“. Aber die Handlung kommt nur in Gang, weil er genau weiß, wie er den ersten Kontakt zum „aufsteigenden Popstar“ Oliver zu gestalten hat. Und Matthew „drängt“ sich zunächst gar nicht in Olivers Welt. Er wird hineingezogen. Denn dieser „charismatische Oliver“ ist, wie so viele Menschen, zutiefst unsicher und braucht und sucht Nähe und Freundschaft ebenso wie Bestätigung.
 
Es ist die große Stärke des Drehbuchs von Alex Russel, dass Matthew kein genialer Strippenzieher und Machiavelli’scher Manipulator sein muss, um in den inneren Kreis von Olivers Entourage vorzudringen. Es reicht schon, dass er einfach die Hosen runterlässt, und das sowohl im wörtlichen Sinn als auch im übertragenen Sinn. Wenn Matthew sich unbedarft gibt, erscheint er dem „aufsteigenden Popstar“ unter all den Posern um ihn herum natürlich als einzige „echte Person“ und willkommene Abwechslung.
 
Im weiteren Verlauf der Handlung sehen wir nicht nur, wie Matthew sich weiter entwickelt, auch die Beziehung zwischen Matthew und Oliver, aber auch andere Beziehungen entwickeln sich weiter. Alex Russel hat hier einen Film geschrieben, in dem die Nebenfiguren nicht nur Stichworte geben. Sie sind Teil der Handlung, sie treiben die Story voran, sie stehen in unterschiedlichen, sich verändernden Beziehungen zur Hauptfigur, sind Elemente von Dynamiken, wirken katalytisch, … In einer Zeit, in der uns in vielen Filmen bereits die Helden gleichgültig bleiben und sich nicht entwickeln, sehen wir hier einen Film, in dem die Nebenfiguren interessant agieren.
 
Is this how you envisioned it?
 
Das alles zeigt Erstlings-Regisseur Alex Russel in unaufgeregten, teilweise fast dokumentarisch wirkenden Bildern, die immer perfekt zu den jeweiligen Szenen und Stimmungen passen. Einzelne Szenen werden tatsächlich in verwackelten Bildern durch die von den Protagonisten für Videodrehs verwendeten Handkameras gezeigt. Aber Russel setzt diesen Effekt ebenso gezielt wie sparsam ein, weil er wohl selbst schon oft genug in anderen Filmen gesehen hat, wie schnell sich so ein Kunstgriff abnutzen und langweilig werden kann.
 
Russel bleibt immer nah am Geschehen. Und das spielt sich in einem Drama über Menschen und ihre Beziehungen vor allem auf den Gesichtern der Figuren ab. Wenn bereits früh im Film die Lippen einer Figur zittern, wenn in einem Musikvideo jemand so lange mit Paintballs beschossen wird, bis seine wahren Gefühle auf seinem Gesicht erkennbar werden, wenn Blicke mehr verraten als das was gesprochen wird, dann bekommen wir endlich wieder einmal eine interessante Geschichte mit filmischen Mitteln erzählt.
 
Aber auch die Dialoge heben sich angenehm vom üblichen Einheitsbrei modernen Kinos ab. In einer Zeit, in der die Figuren selbst in anspruchsvollen Dramen einander vor allem gegenseitig die Handlung erklären, sprechen die Figuren in „Lurker“ wie echte Menschen miteinander. Das merkt das Publikum zunächst vor allem daran, dass die Protagonisten eben nicht sagen, was sie tun oder fühlen, sondern vor allem Sätze von sich geben, die für sie gut klingen.
 
Ich gebe zu, als Angehöriger der Generation X war es für mich besonders interessant zu sehen und vor allem zu hören, wie ein Millennial (Alex Russel ist Jahrgang 1991) die Sprache der Gen Z einsetzt. Wenn man inflationär mit bedeutungsvollen Begriffen um sich wirft und neue Bekanntschaften gleich als „Brother“ und „best friend“ bezeichnet und von seinen Visionen spricht, dann kann das nicht immer ohne Konsequenzen bleiben. Worte haben Bedeutungen, derer man sich bewusst sein sollte. Russel zeigt in seinem Film den sorglosen Umgang vieler junger Menschen mit Sprache ebenso wie ihre Überempfindlichkeit bei bestimmten Begriffen und belegt damit, dass eine große Gemeinsamkeit der Menschen quer durch die Generationen wohl die Ambivalenz ist.
 
Natürlich ist Russels Erstling nicht perfekt. In einem Film über einen Musiker, ist es an einigen Stellen ausgerechnet Russels etwas plumper Einsatz der Musik, der den großartigen Gesamteindruck trübt. Wenn dann zum Ende hin, der Text der Hitsingle im Film tatsächlich „What’s the difference between love and obsession? I can never tell them apart.“ lautet, bewegt sich der Film hier schon sehr weit in den Bereich der Darren Aronofsky-Schule für ganz besonders subtile Filmkunst.
 
Aber Autor und Regisseur Russel kriegt dann doch noch die Kurve. Und weil er sich der Bedeutung, ja der Macht des gesprochenen Worts wohl bewusst ist, bekommen wir am Ende des Films eine weitere angenehme Überraschung präsentiert. Nicht nur vollzieht die Handlung am Ende eine Wendung, die absolut nachvollziehbar und logisch ist. Anders als so viele zeitgenössische Filmemacher, die an den Haaren herbeigezogene und verzweifelt witzige Gags an den Schluss ihrer Filme setzen müssen, lässt Russel seinen Film mit einer coolen Pointe enden, die absolut stimmig und sogar seltsam befriedigend ausfällt.
 
Auch die Besetzung des Films trägt zum stimmigen und befriedigenden Gesamteindruck bei. Archie Madekwe wirkte mit seiner Hauptrolle in “Gran Turismo” komplett überfordert. Aber der Film war auch formelhafter Mist. Hier vermittelt uns der hünenhafte junge Darsteller nun mit hängenden Schultern ganz hervorragend das Dilemma eines ungeliebten kleinen Jungen, der plötzlich ein Mann sein und mit einem ebenso ungewohnten wie ungesunden Maß an Aufmerksamkeit und Bewunderung zurecht kommen muss.
 
Théodore Pellerin schafft es auf dem Drahtseil des Drehbuchs nicht zu stolpern und gibt nie der Versuchung nach, seine Figur des Matthew als Bösewicht oder Wahnsinnigen darzustellen. Er hat sich die wichtigste Dialogzeile des Films zu Herzen genommen: „We all want the same thing. I just want it more.“.
 
In wichtigen Nebenrollen sehen wir noch recht unbekannte aber offensichtlich begabte Darsteller*innen wie Sunny Suljic („The Killing of A Sacred Deer“) oder Havana Rose Liu, die hier eine ebenso sympathische wie intelligente junge Frau darstellt, die als einzige Erwachsene unter lauter Kindern, recht schnell Dynamiken und Mechanismen ihres Umfelds durchschauen kann.
 
 
Fazit
 
Im Kino gibt es gerade ein seltenes Phänomen zu bewundern: einen intelligenten, gut gemachten Film über echte Menschen und ihre Beziehungen in der modernen Welt.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Alex Russell
  • Drehbuch: Alex Russell
  • Besetzung: Archie Madekwe, Théodore Pellerin