Past Lives: In einem anderen Leben - Kinostart: 17.08.2023

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Romantisches Drama ohne Klischees und dümmliche Kalendersprüche: ...
 
Mit ihrem Regiedebüt „Past Lives – In einem anderen Leben“ gelingt der in Südkorea geborenen Celine Song gleich ein großer Wurf. Viel bewegender dürfte es im Kinojahr 2023 nicht mehr werden!
 
Aus den Augen aus dem Sinn?
 
Man kennt es vielleicht aus eigener Erfahrung: Ganz unverhofft taucht ein alter Freund oder eine frühere Liebe auf. Wie von Zauberhand ist die einstige Vertrautheit wieder da. Und eventuell gerät sogar das eigene Leben durcheinander.
 
Dieses griffige Szenario spielt die Drehbuchautorin und Regisseurin Celine Song in ihrem Erstlingswerk auf vielschichtige und ergreifende Weise durch und verknüpft es mit der Erfahrung, in ein fremdes Land zu kommen und dort eine neue Identität zu entwickeln. Ihre eigene Geschichte als Tochter eines Künstlerpaares, die in jungen Jahren mit ihren Eltern von Südkorea nach Kanada übersiedelte, fließt immer wieder in das Geschehen ein und verleiht dem Film eine wohltuend lebensnahe, authentische Note.
 
Songs Alter Ego hört anfangs auf den Namen Young Na (Seung-ah Moon) und muss ihrem besten Kumpel Hae Sung (Seung-min Leem) gestehen, dass sie mit ihrer Familie in Kürze auswandern wird. Zwei Menschen, die viel Zeit gemeinsam verbracht haben, wahrscheinlich auch ein bisschen verliebt sind ineinander, stehen auf einmal an einer Gabelung, an der sich ihre Wege trennen. Ein Bild, das die Filmemacherin zum Abschied ganz konkret in Szene setzt. Young Na strebt in die, Hae Sung in die andere Richtung, wobei das 12-jährige Mädchen in ein völlig neues Leben eintaucht, selbst ihren alten Namen ablegt und sich in Kanada fortan Nora nennt.
 
Zwölf Jahre später hat Hae Sung (nun: Teo Yoo) seinen Wehrdienst hinter sich gebracht, währen Nora (Greta Lee) mittlerweile in New York wohnt und als Autorin langsam Fuß fasst. Durch Zufall wird sie im Internet darauf aufmerksam, dass ihr Schulfreund nach ihr sucht. Nur wenig später beginnen die ersten Videogespräche, die Celine Song und Editor Keith Fraase in einer perfekt getimten Stimmungsmontage einfangen. Schnell fühlen sich die beiden wieder nahe, und ihr Austausch wird zu einem festen Ritual. Irgendwann machen sich allerdings Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Der Kontakt bricht wieder ab. Nora lernt in einem Künstlerhaus den Schriftsteller Arthur (John Magaro) kennen und heiratet ihn. Nach einem weiterem Zeitsprung von zwölf Jahren folgt dann die Überraschung: Hae Sung will Nora bei einem New-York-Trip besuchen.
 
 
Kein Platz für billige Sentimentalitäten
 
Aus dieser Dreieckskonstellation hätte man spielend leicht eine plumpe, sich an sattsam bekannten Plot-Bausteinen entlanghangelnde Liebesstory stricken können. Song hat jedoch anderes, viel Aufregenderes im Sinn. Ihre Charaktere sind keine Schachfiguren, die man auf vorgefassten Bahnen hin- und herschiebt, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, deren Begegnungen und Unterhaltungen um das Mysterium namens Leben kreisen: Wer sind wir? Wie verändern wir uns über die Jahre? Und was bedeutet das für eine früher innige Beziehung? Der Film wirft viele spannende Fragen auf, bringt kluge Gedanken vor und ist voller kleiner, scharfsinniger Beobachtungen, hebt etwa auch auf die Bedeutung von Sprache und unterschiedliche kulturelle Prägungen ab.
 
Auf sympathische Weise verspielt ist „Past Lives – In einem anderen Leben“, wenn Nora und ihr Gatte in einer Szene darüber sprechen, dass er in einer klassisch erzählten Liebesgeschichte der Bösewicht sein müsste. Genau das passiert hier freilich nicht. Arthur hat seine Bedenken, sieht die neue Annäherung zwischen Nora und Hae Sung durchaus mit ein wenig Unbehagen. Gleichzeitig versucht er aber, unvoreingenommen zu sein – und unterläuft so ein bestens vertrautes Klischee. Wie gut es tut, dass Celine Song auf überhitzte, melodramatische Irrungen und Wirrungen verzichtet und ihr von zurückhaltender Musik untermaltes Drama so unaufgeregt dahinfließen lässt! Ihren Teil zum Gelingen tragen nicht zuletzt die Schauspieler bei, die Sehnsüchte und Zweifel mit feinem Gespür für Nuancen herausarbeiten.
 
Wem all das nicht genügt, sei auf die letzten Momente verwiesen: Sagenhaft, wie die Regisseurin und ihre Hauptdarsteller allein mit unsicheren Blicken und einem ausgedehnten Schweigen enorme Spannung und eine unglaubliche emotionale Wucht erzeugen.
 
 
Fazit
 
Nimm das, Hollywood! Mit ihrem Debüt zaubert Celine Song eine tiefberührende Meditation über Freundschaft, Liebe, Schicksal und das Leben im Allgemeinen auf die Leinwand. Wer sich diesen Film entgehen lässt, ist selber schuld!
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Christopher Diekhaus
  • Regie: Celine Song
  • Drehbuch: Celine Song
  • Besetzung: Greta Lee, Teo Yoo