Chantal im Märchenland - Kinostart: 28.03.2024

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„Spin-offs“ von erfolgreichen Filmserien liegen seit einigen Jahren schwer im Trend.
 
Marvel, Star Wars und das DCU haben es vorgemacht. Und nun sind auch die Macher von „Fack ju Göthe“ auf den Zug aufgesprungen ...
 
Oh mein Gott! Voll das Prinzessinnenkleid!
 
Chantals Karriere als Influencerin läuft, ... naja, ... so mittel, ... also eigentlich mehr so ... gar nicht. Für gerade mal 300 Follower verunstaltet sie sich live mit Superkleber und wird trotzdem nicht berühmt. Aus Gründen, die nun wirklich zu doof sind, um sie hier wiederzugeben, findet sie sich zusammen mit ihrer besten Freundin Zeynep plötzlich in einem Märchenland wieder, trifft dort die berühmtesten Märchengestalten und erlebt dort jede Menge Abenteuer. Und das alles, ohne WLAN ...
 
Ich weiß, ich habe bereits mehrmals darüber geschrieben. Aber 95% aller deutschen Spielfilme kann man in eine von drei Kategorien einteilen: „Der bewegte Mann“, „Lindenstraße“ oder „Tatort“. Die meisten deutschen Komödien erinnern seit bald dreißig Jahren an „Der bewegte Mann“. Es geht praktisch immer um die Unmöglichkeit des Zusammenlebens von Männchen und Weibchen unserer Spezies. Zum Drüberstreuen tucken ein paar Homosexuelle durchs Bild, weil das so furchtbar lustig ist. Und jede Botschaft wird dem Publikum mit dem großen Löffel gefüttert bis es würgt. Selbst eine Könnerin wie Doris Dörrie hat erst vor etwas mehr als einem Jahr mit „Freibad“ einen diesem Muster folgendem Film herausgebracht.
 
Die meisten deutschen Filmdramen erinnern an die „Lindenstraße“. Das war diese Dramaserie, in der alles Drama immer besonders dramatisch und schnell und vor allem immer viel zu viel Drama auf einmal ablief. Wenn in dieser Serie jemand seine Familie zugunsten des Jobs vernachlässigte, dann hat das nicht einfach zu Spannungen geführt. Nein, der Mann kam von der Arbeit heim, fand seine Frau in den Armen eines anderen, seinen Sohn an der Nadel hängend und seine Tochter hatte sich dem IS angeschlossen.
 
In der nächsten Folge hatte der Mann seinen Job verloren und musste sich prosituieren, um seine und die Drogensucht des Sohnes zu finanzieren. Sein Nachbar war währenddessen übrigens ein nekrophiler, namibischer Neonazi. Und jede Botschaft wurde dem Publikum mit dem großen Löffel gefüttert bis es würgte. Fast immer wenn es im deutschen Film spannend werden soll, kommt am Ende so etwas wie ein „Tatort“ heraus. Die Brutalität der Verbrechen wird kaum jemals wirklich gezeigt, die Aufklärung ist immer langweilig, findet dafür aber immer vor einem sozialen Hintergrund statt, der im Lauf der letzten zwei Jahren mal mediale Beachtung erfahren hat. Die dazugehörige Botschaft wird dem Publikum mit dem großen Löffel gefüttert bis es würgt.
 
Sollten Zeitungen demnächst über furchtbare Arbeitsbedingungen in der Champignonzucht berichten, dürfen wir uns nächstes Jahr darauf freuen, einem Ermittlerduo zuzusehen, wie sie ereignislos zwischen Kompost und Pilzen ermitteln. Dafür müssen wir dann Mitleid mit den armen Champignonzüchtern haben.
 
 
Das Drehbuch zu „Chantal im Märchenland“ wurde von Bora Dagtekin verfasst, der auch bereits die Drehbücher zu „Fack ju Göthe“ Teil 1 – 17 und „Das perfekte Geheimnis“ (alle ebenfalls mit Jella Hase) verfasst hat. Inszeniert wurde „Chantal im Märchenland“ ebenfalls von Bora Dagtekin, der auch schon „Fack ju Göthe“ Teil 1 – 17 und „Das perfekte Geheimnis“ (alle ebenfalls mit Jella Hase) inszeniert hat. So wie VW den neuen Golf immer mehr oder weniger wie den alten Golf aussehen lässt, geht man bei Constantin Film offensichtlich auch nicht gerne unnötige Risiken ein.
 
Und Bora Dagtekin hat mit „Chantal im Märchenland“ das Kunststück vollbracht, einen Film zu drehen, der beinahe zu gleichen Teilen an „Der bewegte Mann“, „Lindenstraße“ und „Tatort“ erinnert. Wie bei „Der bewegte Mann“ geht es auch im Märchenland vor allem um die Unmöglichkeit des Zusammenlebens von männlichen und weiblichen Märchenfiguren. Der eine Prinz ist ein Arsch, der König geisteskrank und der andere Prinz ist schwul, weil das so furchtbar lustig ist. Die aufgesetzte pseudofeministische Botschaft wird uns so plump reingewürgt, dass sie uns links und rechts aus den Mundwinkeln rausläuft.
 
Wenn die pseudofeministische Botschaft aufgesetzt und plump wirkt, dann wirkt die ganze LGBTQIA+-freundliche Nebenhandlung einfach nur widerlich. Ich weiß nicht, ob heterosexuelle Cis-Männer überhaupt Filme über LGBTQIA+-Themen drehen sollten. Aber ganz sicher sollte Bora Dagtekin keine Filme über solchen Themen drehen. Unterdrückung querer Identität im Jahr 2024 bloß als Material für billige Gags zu verwenden, ist grundsätzlich daneben. Aber so wie Dagtekin hier vorgeht und das alles wie in einer Altherren-Klamotte von anno dazumal inszeniert, erfüllt das fast schon den Tatbestand eines Hassverbrechens.
 
 
Apropos „Hassverbrechen“, ... Dagtekin bietet in seinem neuen Film auch sehr viel „Lindenstraße“. Die Handlungsfäden verstricken sich bereits in dem Moment, in dem die beiden Heldinnen im Märchenland ankommen und verwickeln sich immer weiter und weiter während immer neue Fäden dazu gesponnen werden. Hier gibt es eine unterdrückte Prinzessin, dort eine in einen Spiegel verbannte Königin, anderswo werden Hexen verfolgt, obwohl es gar nicht um Hexerei sondern um Geburtshilfe geht aber auch um Abtreibungen, doch dann geht es um die Darstellung der Rolle der Frau in den Medien, aber auch um arme Migranten, die von der Rückkehr nach Hause träumen und dann geht es natürlich auch darum, dass Handys einem die Lebensenergie entziehen oder doch nicht, wasweißdennich mir wurde es schon bei der Zurschaustellung nackter Popos in der queren Nebenhandlung zu viel.
 
Und wie beim „Tatort“ sind all diese gestreiften sozialen Themen nur der Hintergrund für eine Handlung, die recht langweilig und ereignislos bleibt. Ja, es gibt einen Flug auf einem Teppich. Aber dieser verläuft kurz und uninteressant. Es gibt einen Hexen-Sabbat, der wie die erste Probe zu einem Tanzworkshop an der Volkshochschule wirkt. Es gibt einen königlichen Ball, der einfach nur langweilig ist. Es gibt einen Kampf gegen einen Drachen, der nur aus einem einzigen enttäuschenden Gag besteht. Und zum Finale werden die Bösewichter nass gespritzt, hihihi, bevor uns dann wieder eine oder zwei oder auch drei wichtige Botschaften mit dem ganz großen Löffel reingedrückt werden.
 
Dagtekin inszeniert diese Mischung aus Langeweile, zottigen Gags und aufgesetzten Botschaften recht routiniert. Der Filmemacher hat sich in einem Interview einmal selbst als „Kommerzschwein“ bezeichnet und lässt damit sehr viel Einsicht erkennen. Die Qualität der computergenerierten Bilder der Märchenwelt fällt, ... naja, ... sagen wir mal, .. okay aus. Der größte Teil des Films hat den recht gefälligen Look eines etwas aufwendigeren Werbespots. Dass in den traditionsreichen Barrandov Studios gedreht wurde, erkennt man nur selten. Schloss Schleißheim ist passabel in Szene gesetzt worden.
 
Ich würd Dich so krass nach rechts swipen
 
Wenn „Chantal im Märchenland“ halbwegs unterhaltsam ausfällt, dann vor allem wegen seiner Hauptdarstellerin. Jella Haase war bereits in den viel zu vielen Filmen der „Fack ju Göthe“-Reihe ein grandioser „scene-stealer“. In Dagtekins „Das perfekte Geheimnis“ hat sie das Kunststück vollbracht, die einzige Figur dazustellen, die einem nicht völlig unsympathisch war. Und auch hier spielt sie besser als es das Material zulassen sollte. Haase zeigt die frische, sympathische Leinwandpräsenz einer jungen Drew Barrymore oder Cameron Diaz. Man kann nur hoffen, sie findet bald den richtigen Filmemacher, der sie im richtigen Film besetzt.
 
Natürlich ist auch Gizem Emre wieder als Chantals beste Freundin dabei. Emre ist vielleicht nicht das größte Talent in diesem Film. Aber sie hat Ausstrahlung und macht einen guten Job. Das gleiche gilt für den jungen Mido Kotaini, der den Film um eine wichtige Portion Aufrichtigkeit und Herz bereichert.
 
Der Rest der Besetzung besteht aus allem, was im deutschen Film Rang und Namen hat und zurzeit bei Constantin Film unter Vertrag steht. Natürlich ist Elyas M’Barek in einem kurzen Auftritt zu sehen, der rein gar nichts zum Film beiträgt. Dann sehen und hören wir noch Nora Tschirner, Max von der Groeben, Frederick Lau, Maria Happel, Alexandra Maria Lara und jede Menge andere Größen des deutschen Kommerzfilms in reinen Chargenrollen. Keine Ahnung, warum Iris Berben und Christoph Maria Herbst nicht mitspielen. Vielleicht haben sie sich ein Attest vom Arzt besorgt.
 
 
Fazit
 
Das in der Märchenwelt spielende Spin-off von „Fack ju Göthe“ fällt genauso aus, wie man es erwarten durfte. Bora Dagtekin zeigt keine echten Ideen und geht mit diesem Konzept kein Risiko ein. Die Besetzung, angeführt von Jella Haase, bewahrt den Film vor der völligen altmodischen Mittelmäßigkeit von „Der bewegte Mann“, „Lindenstraße“ und „Tatort“.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Bora Dagtekin
  • Drehbuch: Bora Dagtekin
  • Besetzung: Jella Haase, Gizem Emre