Vor knapp drei Jahren wäre „Love, Simon“ bloß ein recht konventioneller ...
... Film über die Sorgen und Nöte eines verliebten Teenagers gewesen, wenn der Titelheld sich nicht zu seinem eigenen Geschlecht hingezogen gefühlt hätte. Und wie steht es nun um die Fernsehserie, die den Erfolg des Kinofilms wiederholen soll?
Welcome to Creekwood
Victor ist eben mit seiner Familie nach Atlanta gezogen und neu auf der Creekwood High School. Das bringt die üblichen Probleme mit sich. Er muss seinen Platz in der Schulgemeinschaft und neue Freunde finden, sich gegen fiese Mitschüler wehren, sich um seine Schwester kümmern und irgendwie genug Geld verdienen, um in der Basketballmannschaft mitspielen zu können. Verliebt ist Victor natürlich auch. Aber nicht in die hübsche Mia, mit der er auf dem mittlerweile berühmten Riesenrad gefahren ist und die ihn offensichtlich mag. Sondern in den gutaussehenden, offen homosexuellen Benji. Leider traut Victor sich nicht, Benji zu sagen, wie er empfindet. Mia kann er es auch nicht sagen. Auch nicht seiner Mutter. Oder seinem Vater. Oder sonst irgendjemandem …
Praktisch nichts an dieser Serie ist irgendwie besonders. Die Handlung mit ihren Verwickelungen und Missverständnissen stammt aus einer eher einfallslosen romantischen Komödie. Die Nebenfiguren stammen aus einer Sitcom. Victors Schwarm sieht aus wie ein Nachwuchs-Vampir aus „Twilight“. Und fast alle von Victors Problemen stammen aus jedem anderen Teenie-Film, den wir je gesehen haben. Abgesehen von der sexuellen Orientierung der jungen Hauptfigur ist nichts an dieser Serie besonders. Und die Tatsache, dass eben diese sexuelle Orientierung der Hauptfigur im Jahr 2021 immer noch etwas Besonderes ist, ist traurig genug.
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Aber wird das Ganze nicht noch trauriger, wenn die problematische Situation eines jungen Homosexuellen, der sich (noch) nicht outen will, so behandelt wird wie in dieser Serie? Wenn uns die ersten beiden Folgen hauptsächlich launige Scherzchen und Standardsituationen liefern, statt uns echte Menschen mit echten Problemen zu zeigen? Disney meint diese Serie: „… spielt in der Welt des bahnbrechenden Films Love, Simon aus dem Jahre 2018“. Wenigstens glaubt man bei Disney selbst nicht, dass diese Serie in der Realität spielt.
Ich habe in meiner Jugend mehrmals die Schule gewechselt. Und niemals, kein einziges Mal lief es so glatt wie bei Victor. Der Held dieser Serie schließt seine erste neue Freundschaft noch am Tag vor dem ersten Schultag. Vor Schulbeginn hält die stellvertretende Direktorin gleich ein vertrauliches Schwätzchen mit dem neuen Schüler. In der Pause lauern die zwei begehrtesten Mädchen der Schule dem Neuen auf dem Flur auf. Und der Sportlehrer will Victor sofort in der Basketballmannschaft der Schule haben. Als ich einmal in eine neue Schule kam, gab es in meiner Klasse einen Schüler dessen gesamte Kleidung von seiner Mutter gestrickt wurde und dessen Körpergeruch einem die Tränen in die Augen treiben konnte und der deshalb vom Rest der Klasse gemieden wurde. Und selbst der hat erst am dritten Tag mit mir gesprochen. Und ich war auch gut in Sport.
Stoplight Party (Achtung! Spoiler im ersten Absatz!)
Folge Zwei der Serie führt die lange Reihe von Klischees und Standardsituationen munter weiter. Wir bekommen eine (Alp-)Traumsequenz zu sehen, die nicht einmal mehr als Parodie funktionieren würde. Es findet eine Party in der Villa einer Mitschülerin statt, auf der die Sportskanone sich wie ein Armleuchter benimmt und einer der Freunde sich betrinkt. Benji, der attraktive Barista, wird diesmal inszeniert als wäre er die Hauptfigur aus einer Cola-light-Werbung. Dieser Anblick ist dann auch zu viel für unseren jungen Helden weshalb er sich selbst und das Objekt der Begierde mit Milchschaum bespritzt und der Serie einen reichlich zotigen visuellen Gag beschert.
Die Serie wirkt alles in allem recht hochwertig produziert. Sowohl Regisseurin Amy York Rubin (Folge 1) als auch Regisseur Jason Ensler (Folge 2) sind erfahrene Kräfte, die jeder für sich schon Dutzende Folgen verschiedener Fernsehserien produziert haben. Unter ihrer professionellen Führung haben die Profis hinter der Kamera professionell gearbeitet und so wirkt das fertige Ergebnis – kaum überraschend - sehr professionell. Aber das alles wirkt auch furchtbar glatt und irgendwie seelenlos. Bisher fehlen der Serie einfach ein paar Ecken, Kanten und raue Stellen, um irgendwie besonders zu werden.
Völlig frei von Ecken, Kanten und rauen Stellen bleiben auch die Darsteller. Die Titelrolle wird vom jungen Michael Cimino dargestellt. Und bevor alle echten Filmfreaks unter den Lesern ausrasten: Nein, der achtzehnjährige Schüler wird nicht vom Regisseur von „Heaven’s Gate“ und „Im Jahr des Drachen“ gespielt. Dieser 1939 geborene Michael Cimino ist leider vor ein paar Jahren verstorben, nachdem er die letzten 25 Jahre seines Lebens keinen Film mehr gemacht hatte. Ach ja, … wie viel lieber würde ich jetzt über diesen Michael Cimino schreiben ... Jeder seiner Filme war irgendwie schräg und die meisten ziemlich durchgeknallt, aber alle diese Filme hatten Ecken, Kanten und raue Stellen. Vielleicht ein paar Ecken, Kanten und raue Stellen zu viel. Immerhin war „Heaven’s Gate“ Schuld am Ende von United Artists als eigenständiges Filmstudio …
Aber ich schweife ab. Der junge, 1999 geborene Michael Cimino (nein, soweit ich weiß besteht keinerlei Verwandtschaftsverhältnis) spielt den jungen Victor sympathisch verwirrt. Nichts an seiner Darstellung ist verkehrt. Aber auch er schafft es nicht, uns das Besondere seiner Situation zu vermitteln. Der Rest der Besetzung arbeitet ähnlich effizient.
Vielleicht ist das einzig Besondere an dieser Serie, das sie nicht viel Besonderes zu bieten hat. Wenn eine Serie über einen homosexuellen, jungen Mann weiter nichts Besonderes zu bieten hat, ist Homosexualität vielleicht im besten Sinne des Wortes einfach nichts Besonderes mehr. Wenn die Hauptfigur einer in jeder Hinsicht austauschbaren Serie einfach bloß homosexuell ist, dann ist Homosexualität vielleicht endlich im Mainstream und damit in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und das wäre dann ja durchaus etwas Gutes.
TRAILER |
Fazit
„Love, Simon“ war ein recht konventioneller Film über die Sorgen und Nöte eines verliebten, homosexuellen Teenagers. Die Serie „Love, Victor“ ist ähnlich konventionell ausgefallen, dauert aber viel länger.
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