Während sich die sogenannte Midlife Crisis, in der sich Betroffene nach dem ...
... Sinn ihres Lebens fragen, bei den meisten früher erst um die vierzig bemerkbar machte, gibt es mittlerweile eine ähnliche Erscheinung bei jungen Menschen Mitte zwanzig. Die Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten haben sich enorm vermehrt, Ziel ist die Selbstverwirklichung, die viele mehr überfordert als zufrieden und vor die Frage stellt:
Was will ich eigentlich von meinem Leben?
So geht es auch der Hauptfigur in Golden Twenties, Ava, die nach abgeschlossenem Studium zurück zu ihrer Mutter zieht – ohne Plan, was sie sich vom Leben erhofft. Texte findet sie schön, mehr erfährt man von ihren Interessen nicht. Über familiäre Kontakte kommt sie an eine Hospitanz (eine Art Praktikum) bei einer Theaterproduktion und lernt so den charmanten Schauspieler Jonas kennen – welche Rolle zwischen Flirt und Ernst dieser in ihrem Leben einnimmt ist schwer zu beschreiben, so richtig weiß das Ava nicht einmal selbst. Auch ihre Freunde haben sich durch Beziehungen verändert und können Ava keinen Boden unter den Füßen geben. So darf man die Hauptdarstellerin in dem Film grandiose 93 Minuten dabei beobachten, wie sie sich ihren Weg durch Berlin, die verrückte aber faszinierende Künstlerszene und die schier unendlichen Möglichkeiten bahnt.
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Der Film will nichts und schafft dadurch unglaublich viel
Das Beste an Golden Twenties ist seine Authentizität. Hier gibt es keine überzogenen Rollen, keine Klischees, keine peppigen Dialoge, die zwar im Kino unterhalten, aber nichts mit dem realen Leben zu tun haben. Alles könnte genauso wirklich passieren. Es gibt viele Szenen, in denen die Protagonistin nichts Spannendes, Knallerhaftes erlebt, sondern einfach nur zuhause in ihrem Zimmer am Fenster sitzt und ihre Gedanken ziehen lässt. Es gibt auch keine Lösung für die Orientierungslosigkeit (kleiner Spoileralarm), die im Kino zwar für ein Happy End sorgen würde, aber den Film zum unrealistischen Traum machen würde. Nein, Golden Twenties ist ein Film, der keine zwanghafte Botschaft transportiert. Im Gegenteil, er zeigt eine junge Frau, Mitte zwanzig, so wie sie wirklich ist – mal tatenlos und ohne Ziel, mal ungeschminkt, mal ungesehen, mal hoch verehrt, mal beim Scheitern ihrer Hoffnungen.
Ava hat viel Identifikationspotenzial
Deswegen fällt es sehr leicht, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren und ihre Lage zu verstehen. Außerdem tut es unendlich gut, zu sehen, dass es anderen Menschen genauso geht, dass viele ebenso planlos sind und genauso gegen Wände rennen. Endlich sieht man auf der Leinwand mal keine Klischees, wie die 1,0 Absolventen, die all ihre Träume mit links in die Tat umsetzen und die einem das Gefühl vermitteln, man wäre zweitrangig oder die Mauerblümchen, die sich oft als kleine Tollpatsche entpuppen und im Laufe des Films vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan transformieren. Auch die Menschen um Ava herum sind voll von Authentizität und zeigen die verschiedenen Schwerpunkte, die sich junge Menschen setzen können. Während Ava versucht herauszufinden, was sie beruflich in ihrem Leben machen könnte, hat sich beispielsweise ihre Freundin Lulu auf die Kategorie Beziehung konzentriert und hält nun an etwas fest, was weder sie noch ihren Partner vollends zu verwirklichen scheint.
Der Film ist wie ein Tagebuch
Ava ist in dem Streifen der Knotenpunkt. Ihr Lebensweg ist nicht die einzige Handlung, vielmehr erzählt der Film mehrere Erlebnis-Ausschnitte von Personen, die mit der Protagonistin in Kontakt stehen (Lulu, Avas Mutter, den Theaterleuten). So wird der Film nie eindimensional und langwierig, sondern bekommt stets von verschiedenen Seiten neue Impulse. Zudem können verschiedene Probleme von unterschiedlichen Altersklassen thematisiert werden. Schön ist auch, dass man nichts an dem Film herunterbrechen kann. Keine Figur lässt sich mit einem Wort beschreiben, alle sind vielschichtig und wirken dadurch so real und menschlich. So treffen Avas naive Züge, die zulassen, dass sie sich auf einen jungen Schauspieler einlässt, beispielsweise unmittelbar danach auf die vernünftigen, wegen denen sie sich aus den Beziehungsproblemen ihrer Freundin Lulu neutral heraushält.
Fazit
Alles in allem ist Regisseurin Sophie Kluge und den Hauptdarstellern Henriette Confurius, Max Krause und Hanna Hilsdorf (u.v.m.) gelungen, sich absolut überzeugend in die Altersgruppe zwischen 20 und 30 hineinzuversetzen und deren Zweifel, Probleme, Naivität und Euphorie abzubilden, die immer wieder den Alltag bestimmen.
Es ist ein Film der Mut macht, auf alles, was in der Zukunft noch passieren mag und der fast schon auftritt wie ein Freund oder eine Freundin, der/die einem in schlechten Zeiten auf die Schulter klopft und sagt: Kopf hoch, das geht uns doch allen mal so!
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