Eigentlich sollte man jede Art von Film gut gestalten können. Mit genug ...
... Aufwand, Sorgfalt und Kompetenz sollten Filme jedes Genres gelingen können. Oder ...?
Quality over Quantity
Almut und Tobias sind zwei furchtbar sympathische, attraktive junge Menschen. Sie treffen auf furchtbar originelle und unterhaltsame Art und Weise aufeinander, spüren sofort eine Verbindung zueinander und haben daher recht bald den ersten großartigen, beidseitigen Lustgewinn bringenden und auch ästhetisch anspruchsvollen Geschlechtsverkehr. Ein erstes kleines Missverständnis wird schnell geklärt. Eine Krise wird fast ebenso schnell überwunden. Und weil diese beiden attraktiven jungen Menschen keinerlei wirtschaftliche Sorgen und trotz anspruchsvoller Karrieren jede Menge Zeit haben, ist auch bald was Kleines unterwegs.
Die Geburt des Kindes verläuft noch furchtbar origineller und unterhaltsamer als das Aufeinandertreffen des Pärchens, wie ja fast alles, was Almut und Tobias miteinander erleben, furchtbar originell und unterhaltsam abläuft. Selbst wenn sie ihrem Kind mitteilen müssen, dass Mami schwer krank ist oder die beiden erfahren, dass Almuts Chemotherapie gar nicht angeschlagen hat oder die Heldin aus beruflichem Ehrgeiz das eigene Kind vergisst, wirkt das alles im Film immer furchtbar originell und unterhaltsam.
Ich muss mich vielleicht kurz bremsen. Ich wollte ja zunächst einen Überblick über die Handlung bieten und erst dann den Film kritisieren. Und auch eine Kritik sollte ja einer gewissen Dramaturgie und einem inneren Aufbau folgen. Vielleicht konzentrieren wir uns daher erst auf das Positive an „We Live in Time“. Ja, so machen wir das. Erstmal das Positive betrachten.
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„We Live in Time“ hat einen fantastischen Look. John Crowley hat nach „Brooklyn“ wieder einen Film gedreht, der auf wunderbare Art und Weise sehr hochwertig produziert wirkt, aber das Publikum nicht mit Hochglanz blendet. Die Räume des Films wirken belebt und erzählen die Geschichte mit. Wir sehen, dass ein Mann nach seiner Scheidung wieder in seinem alten Kinderzimmer wohnt und müssen es nicht erzählt bekommen. Ein Hotelzimmer wirkt deprimierend in seiner Beliebigkeit. Das Zuhause der jungen Frau wirkt gemütlich und nimmt uns für sie ein. Das Haus in dem eine junge Familie lebt und eigene Hühner im Garten hält, sieht aus wie die beste Werbung fürs Bausparen, die wir je gesehen haben.
Moment! Ich wollte ja über das Positive an „We Live in Time“ berichten. Der Film wird nicht linear erzählt. Die Handlung springt zeitlich mehrmals hin und her. Aber obwohl die Macher des Films auf eingeblendete Texte oder andere Erklärungen verzichten, sind diese Zeitsprünge immer nachvollziehbar. Mit diesem Konzept will uns der Film die Wichtigkeit der Zeit in all ihren Formen vermitteln. Egal ob Lebenszeit oder Zeit die wir mit geliebten Menschen oder mit unserer Berufung verbringen oder auch Zeit die längst vergangen ist, all diese Zeiten sind wichtig und sollten ihren Stellenwert in unserem Leben haben.
Das wäre uns sicher auch ohne das Hin- und Herspringen im Ablauf der Handlung klar geworden (und war den meisten von uns wohl auch bereits vor dem Film klar). Und im letzten Drittel des Films verabschiedet sich der Film dann ohnehin von diesem etwas prätentiösen Konzept, weil sich die Handlung dann dem nähert, was Drehbuchautor Nick Payne wohl für ein dramatisches Finale hält, obwohl der Film an der Stelle längst langweilig geworden ist ...
Halt! Ich möchte doch erklären, warum die Kritiker rechts und links vom Atlantik diesen Film fast einhellig positiv besprechen. Denn es gibt ja wirklich viel Positives darüber zu berichten. Die beiden Hauptfiguren sind uns spontan sympathisch. Sympathie für Figuren ist wichtig, weil wir sonst kein Interesse an ihrem Schicksal entwickeln können. Aber diese beiden reizenden, attraktiven jungen Menschen sind auch wirklich zu nett. Und irgendwie können die beiden auch leicht nett sein. Abgesehen von der Krebserkrankung der Heldin, läuft für die beiden eigentlich immer alles im Leben glatt.
Sie sehen beide fantastisch aus, sie scheinen keinerlei wirtschaftliche Sorgen zu haben (ernsthaft, das historische Cottage des jungen Paares muss mitsamt Grundstück einen siebenstelligen Wert haben), sie sind also auch beide erfolgreich in ihrem Beruf und haben trotzdem fast immer Zeit. Die Frau, die ein erfolgreiches Restaurant führt, schafft es im Film ein einziges Mal nicht, ihr Kind von der Schule abzuholen. Sollte sie tatsächlich zum ersten Mal in diese Situation gekommen sein? Eine Nanny oder andere Unterstützung bei der Kindererziehung bekommen wir im Film nie zu sehen. Das mag verwundern, weil die Welt dieses Films ausschließlich von Menschen bevölkert ist, deren Aufgabe es ist, den beiden Hauptfiguren das Leben einfacher zu machen.
Der Trainer, der die Heldin auf einen Wettkampf vorbereitet, ist kaum jemals ungeduldig und nie unzufrieden. Das andere Mitglied des Wettkampfteams zeigt ohnehin nur Verständnis und Unterstützung. Die Onkologin ist reizend und verteilt sogar Süßigkeiten. Tankstellenangestellte könnten nicht hilfsbereiter sein. Selbst das kleine Kind der beiden Hauptfiguren, taucht nur auf, wenn es für die Handlung erforderlich ist und fällt nie zur Last. In einem Leben, fast frei von negativen Erfahrungen, kann man wirklich leicht nett sein.
Gut, vor Einsetzen der Handlung musste Tobias eine Scheidung überstehen. Aber diese Scheidung ist für die Handlung erforderlich. Denn nur so kann er im Bademantel losziehen, um einen Stift zu kaufen, den er braucht, um die Scheidungspapiere unterschreiben zu können und nur so kann Almut Tobias mit dem Auto anfahren, um bei ihm zu sein, wenn er aus der Bewusstlosigkeit aufwacht, damit sie ihm zum Essen einladen und danach mit nach Hause nehmen kann, wo er sich selbst kurz vor dem Geschlechtsverkehr noch ebenso rücksichts- wie verantwortungsvoll zeigen kann, bevor es dann so richtig losgeht. Alles wirklich nett. Alles furchtbar originell und unterhaltsam.
It’s okay, not to be okay
Tut mir leid, ich kann nicht mehr. Ich weiß, es gibt viel mehr lächerliche Beispiele für „meet-cutes“ (den Moment in dem romantischer Held und Heldin aufeinander treffen) als wirklich gute. Es können sich leider nicht alle Paare im Zug nach Wien treffen. Nur selten hält ein Zug, damit ein weißer Jäger sein Elfenbein aufladen kann. Und nur wenige Reporter finden schlafende Prinzessinnen in historischen Altstädten. Man ist ja schon froh, wenn Buchhändler ihre Getränke über Hollywoodstars schütten. Aber meistens fallen „meet-cutes“ lächerlich aus, wenn Männlein und Weiblein gleichzeitig das letzte Paar Handschuhe kaufen wollen oder ein Millionär eine Bordsteinschwalbe, ... sorry, eine Sexarbeiterin nach dem Weg fragen muss.
Aber das „meet-cute“ in „We Live in Time“ ist nicht einfach nur lächerlich. Autor Nick Payne versucht so krampfhaft furchtbar originell zu sein, dass die Szene kein bisschen unterhaltsam gerät. Und das ist nicht die einzige Szene, in der Paynes Drang, furchtbar originell sein zu müssen, nichts zum Unterhaltungswert beiträgt. Alles muss unbedingt romantisch und/oder witzig sein. Also entbindet die Frau nicht im Krankenhaus sondern auf der Toilette einer Tankstelle. Also steht das vergessene Kind im strömenden Regen. Also hat der Mann einen Arbeitgeber, der als Material für Scherze über Verdauung taugt. Also ist das Paar sogar schlagfertig, wenn die Frau Wehen hat. Sogar die Geschichte, die ein Vater beim Essen erzählt, darf nicht einfach langweilig sein.
Die Inszenierung von John Crowley ist bei all dem nicht besonders hilfreich. Ja, alles sieht sehr hochwertig aus. Ja, alles ist schön anzusehen. Aber muss das Paar wirklich Karussell fahren, wenn der Krebs wiederkommt? Ist dieses Bild nicht ein wenig arg plump? Brauchen wir wirklich eine minutenlange Montage von wiederkehrenden Schwangerschaftstests, um den Kinderwunsch des Paares zu erkennen? Muss am Ende dieser Montage, wenn der Test endlich positiv ausfällt, die Musik wirklich so kitschig anschwellen? Und muss es am Austragungsort eines Kochwettbewerbs auch noch eine Eishalle geben, damit die Frau in den letzten Minuten des Films noch schnell zwei Lebensträumen hintereinander gerecht werden kann?
Manchmal wirkt es, als hätten die Macher dieses Films sich selbst die Aufgabe gestellt, die hochwertigste Schmonzette der Filmgeschichte zu drehen. Nicholas Sparks auf Steroiden! Jojo Moyes hoch zehn! Cecelia Ahern kann einpacken! Hallmark move over! Dazu passt auch die extrem hochwertige Besetzung. Die Nebenrollen dieses Films sind keine weitere Erwähnung wert. Sie sind reine Handlungselemente, bloße Erfüllungsgehilfen des Drehbuchs. Machen wir es wie die Macher des Films und konzentrieren wir uns nur auf Held und Heldin.
Andrew Garfield hat uns als erster gezeigt, dass „Spider-Man“ auch witzig sein kann und war großartig in Martin Scorseses‘ „Silence“. Natürlich ist er in „We Live in Time“ auch wieder sehr gut. Wieso auch nicht? Es ist ja nicht so. als hätte er einen echten Charakter zu spielen. Seine Figur hat praktisch keine Eigenschaften außer nett, witzig, liebevoll und immer hilfsbereit.
Florence Pugh hat sich in wenigen Jahren mit so unterschiedlichen Filmen wie “Midsommar”, „Black Widow“ oder „Oppenheimer“ als Darstellerin stetig weiter entwickelt und ist mittlerweile ganz zu Recht ein Star. Gemessen daran, wie furchtbar ihre Rolle geschrieben wurde, leistet sie in „We Live in Time“ Erstaunliches. Denn genau betrachtet ist diese Almut eine ziemlich hohle Figur, die zuweilen auch arg egozentrisch sein kann. Das alles überspielt Florence Pugh mit ihrem natürlichen Charme und ihrer jugendlichen Ausstrahlung.
Apropos „jugendliche Ausstrahlung“: Die Figur der Almut behauptet zu Beginn der Handlung, als sie Tobias kennenlernt, 34 Jahre alt zu sein. Am Ende des Films haben die beiden ein Kind, das schon die Schule besucht. Almut ist also den größten Teil des Films eine Krebspatientin in den Vierzigern. Florence Pugh ist gerade mal 28 Jahre alt und sieht aus wie 19 (tatsächlich sieht sie noch jünger aus, aber ich habe die Frau im Verlauf des Films so oft nackt gesehen, da will ich es nicht noch schräger machen). Wie eine Krebspatientin in den Vierzigern sieht sie während des gesamten Films kein einziges Mal aus.
Fazit
Hier wurde mit viel Aufwand, Sorgfalt und Kompetenz eine banale, vorhersehbare Schmonzette gedreht. Der Film mag eine der besten Schmonzetten aller Zeiten sein. Aber er ist und bleibt leider eine banale, vorhersehbare Schmonzette.
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