Verfilmungen von Erfolgsmusicals sollten Fans der Vorlagen ebenso zufriedenstellen ...
... wie Uneingeweihte begeistern. „Wicked“ ist eines der erfolgreichsten Musicals der letzten Jahrzehnte …
I hope you’re happy now
In Oz wird gefeiert. Glinda, die gute Hexe des Nordens, hat eben den Tod der bösen Hexe des Westens verkündet. Während das Volk Spottlieder singt, erinnert sich Glinda an die Geschichte der magisch begabten jungen Frau mit grüner Haut, mit der sie einst die Universität besucht hat. Sie erinnert sich an eine Geschichte voll Hinterlist und Täuschung, aber auch voll Freundschaft und Hoffnung …
Nachdem Musical und auch Film mit dem (vermeintlichen) Ende der Geschichte beginnen, bleibe ich diesem Konzept treu und halte gleich mal fest: „Wicked“ ist ein hervorragend gemachter Film. Diese gelungene Verfilmung des Erfolgsmusicals wird Fans der Vorlage nicht enttäuschen. Filmfans, die das Musical bisher nicht gekannt haben, könnten dadurch durchaus auch zu Fans des Musicals und des Films werden. Der Film hat viele Stärken, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen. Aber der Film hat auch zwei Schwächen, die einander noch gegenseitig verstärken. Die eine Schwäche ist seine Laufzeit und die andere die Regie von John M. Chu.
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https://cinepreview.de/index.php/item/1080-wicked-kinostart-12-12-2024#sigProId1b09528410
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„Wicked“ wurde natürlich nach der in den letzten Jahren beliebten „Heiligtümer-des-Todes/Twilight/Mockingjay/Dune“-Methode in zwei Filme aufgeteilt, weil man bei Universal Pictures irgendwann gelernt hat, dass „doppelt so viel“ einfach viel mehr als einfach nur „viel“ ist. Und weil man mit diesem Film ohnehin „viel“ Geld verdienen will (und muss), will man eben gleich „doppelt so viel“ verdienen.
Die offizielle Begründung lautet, man wollte mit der Gesamtlaufzeit von mehr als 5 Stunden den Figuren und der Handlung gerecht werden, was mit bloß einem Film nicht möglich gewesen wäre. Das ist natürlich kompletter Schwachsinn. Ich habe das Musical im Londoner Westend gesehen und kann mich nicht erinnern, erst in den frühen Morgenstunden des Folgetages aus dem Theater gekommen zu sein. Trotzdem haben sich mir Figuren und Handlung erschlossen. Außerdem hat man für die Filmversion sogar zusätzliche Musik geschrieben, was tatsächlich der richtige Ansatz war. Oder gewesen wäre …
Man hat dieses Musical nämlich auch noch um zu viele komplett überflüssige und viel zu lange Dialogszenen erweitert. Und die braucht niemand. Sie tun dem Film leider nicht gut. Kein Fan der Vorlage wird sich ein Ticket kaufen, weil er hofft viel mehr erklärenden Dialog zwischen den Musiknummern zu hören. Niemand, der mit dem Musical bisher nicht vertraut war, wird die Musiknummern aussitzen, um über lange Strecken hölzernen Dialogen zu lauschen.
Und so kommen wir zur Regie von John M. Chu. Chu hat seine Karriere mit der Inszenierung von Filmen wie „Step Up to the Streets“, „Step Up 3D“, „G.I. Joe – Die Abrechnung“ und „Die Unfassbaren 2“ begonnen. Gerade als er sich als Experte für Fortsetzungen, auf die niemand gewartet hat, etabliert hatte, inszenierte er den Überraschungserfolg „Crazy Rich Asians“ bevor er mit „In the Heights“ zum ersten Mal ein Erfolgsmusical verfilmen durfte. Der Film hat zwar hervorragende Kritiken bekommen, wurde aber nur von wenig mehr Leuten gesehen als die Vorlage am Broadway.
Chus Inszenierung ist an keiner Stelle richtig misslungen. Aber es fehlt ihr an Schwung, an Tempo, an Dynamik. Den Auftakt bildete eine Version von „No One Mourns the Wicked“, in der kaum etwas von ausgelassener Freude und Erleichterung über den Tod der Hexe vermittelt wird. Dann folgt die Geschichte von Elphabas Geburt und Kindheit, die musikalisch wenig zu bieten hat und auch visuell niemanden begeistern wird. Die Ankunft der beiden Heldinnen an der Universität ist gefällig aber etwas langatmig inszeniert und nach 45 von 160 Minuten fragte ich mich zum ersten Mal, wann denn mal eine wirklich große Musicalnummer auf der Leinwand zu sehen sein würde.
Der Rest des Films plätschert weiter vor sich hin. Natürlich lässt eine Kinovorstellung keine Zeit für Szenenapplaus, aber dafür besteht hier auch keine Notwendigkeit. Die Musicalnummern sind schön anzusehen und noch schöner anzuhören. Die stärkste Nummer bis zum Finale ist sicher „Popular“, aber auch die ist in dieser Version kaum das, was man einen „Showstopper“ nennt.
Die beiden Schwächen des Films verstärken einander gegenseitig immer dann, wenn Chus wenig dynamische Inszenierung auf die vielen Längen des Drehbuchs trifft. Die Musiknummern liegen ohnehin schon teilweise weit auseinander. Wenn Chu diese dann auch noch mit Dialog streckt, wie schon der ganze Film mit Dialog gestreckt wird, dann wirkt das Ganze an einzelnen Stellen beinahe überdehnt. Wer „Defying Gravity“ von Broadway oder Westend kennt, erinnert sich an eine der kraftvollsten Musicalnummern der letzten Jahrzehnte, vergleichbar mit „One Day More“ oder „Suddenly, Seymour“. Chu unterbricht diese großartige Hymne mehrmals mit Dialog und Action, die sie nicht bereichern und ihre Wirkung nicht verstärken.
Everyone deserves the chance to fly
Auch in der Arbeit mit der qualitativ hochwertigen Besetzung lassen sich Schwächen der Regie erkennen. Michelle Yeoh hat schon in „A Haunting in Venice“ oder „Last Christmas“ bewiesen, dass sie auch unter schwacher Regie glänzen kann. Sie vermittelt als Madame Akaber genau die richtige Mischung aus Würde und Stolz aber auch Hinterlist und Rücksichtslosigkeit, die es für diese Rolle braucht.
Jeff Goldblum macht, was jeff Goldblum seit einigen Jahren immer und immer wieder macht und zieht wieder einmal seine „Jeff-Goldblum-Nummer“ ab. In Filmen wie „Thor: Tag der Entscheidung“ und „Hotel Artemis“ hat er dabei aber viel mehr Verve erkennen lassen. Der Zauberer von Oz sollte ein gewitzter Charmeur, Gauner und Täuscher sein. Davon ist in diesem Film nur wenig zu erkennen. Echten Charme lässt der Brite Jonathan Bailey („Crashing“, „Bridgerton“). Wir können sofort nachvollziehen, warum sich beide Freundinnen in den von ihm dargestellten Prinzen verlieben.
Die Britin Cynthia Erivo ist eine erfahrene Musicaldarstellerin, die bereits in London und New York Erfolge feiern konnte, bevor sie in „Harriet – Der Weg in die Freiheit“ ihre erste Hauptrolle in einem Hollywoodfilm spielen durfte. Stimmlich kann sie in der anspruchsvollen Partie der Elphaba überzeugen. Aber ihre Darstellung lässt nicht immer den gleichen Umfang erkennen wie ihre Stimme. Wir sehen in den frühen Szenen nicht die stoische Gelassenheit der ewigen Außenseiterin und gegen Ende wenig kämpferische Entschlossenheit. Erivo wirkt als Elphaba anderthalb Stunden angepisst, bevor sie eine halbe Stunde hoffnungsvoll agiert, um dann am Ende so richtig angepisst zu reagieren.
Die große Überraschung des Films ist Ariana Grande-Butera. Fans der Sängerin werden vielleicht etwas enttäuscht werden. Wir sehen hier keine Ariana-Grande-Show. Stattdessen nimmt Grande sich im Interesse ihrer Rolle zunächst zurück, um einen Filigrantrampel darzustellen, wie man ihn seit den Tagen von Lilian Harvey kaum jemals im Kino gesehen hat. Das macht sie mit einer übersprudelnden Freude am Klischee, die sich sofort auf das Publikum überträgt. Wenn sie ihr Haar in den Wind hängt und sich in gespielter Enttäuschung aufs Bett wirft, sorgt sie für die Komik, die dem Film an so vielen anderen Stellen leider fehlt.
Fazit
„Wicked“ kann langjährige Fans der Vorlage wohl ebenso zufriedenstellen, wie neue Fans gewinnen. Einige vermeidbare Längen und die etwas zu gefällige und wenig dynamische Regie werden von der Besetzung, allen voran Ariana Grande, kongenial überspielt.
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