Für immer hier - Kinostart: 13.03.2025

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Ein Film ist gut, wenn er künstlerisch gelungen ist. Ein Film ist noch ...
 
... besser, wenn er wichtig ist oder uns tief berührt. Der neue Film von Walter Salles schafft all das und sogar noch mehr …
 
Rio de Janeiro 1970
 
Eunice Paiva ist mit dem Geschäftsmann und ehemaligen Politiker Rubens verheiratet. Während ihr Mann ein Kritiker des Militärregimes ist, bleibt Eunice eher unpolitisch. Sie kümmert sich um ihre Familie und bewirtet Gäste in ihrem wunderschönen Haus. Eines Tages wird Rubens verhaftet und zum Verhör mitgenommen. Kurze Zeit später widerfährt Eunice das gleiche Schicksal. 12 Tage muss sie in Isolationshaft verbringen und wird immer wieder verhört. Nach ihrer Freilassung will sie natürlich ihren Mann wiedersehen. Aber Rubens bleibt verschwunden …
 
Der neue Film des Brasilianers Walter Salles ist ein Meisterwerk. Der Film ist fantastisch anzusehen. Der Look der verschiedenen Zeitebenen wirkt absolut authentisch. Die Darsteller*innen, allen voran die großartige Fernanda Torres, leisten Erstaunliches. Dieser Film funktioniert nicht nur auf einer Ebene, hat nicht einfach nur eine Botschaft, sondern mehrere. Und jede dieser Botschaften wird dem Publikum eindringlich und nachvollziehbar vermittelt, ohne dass es sich je manipuliert oder belehrt fühlen muss. Diesen Film versteht man mit dem Verstand und erfährt ihn mit dem Herzen.
 
Aber dieser Film schafft darüber hinaus noch mehr: Durch seine feine, elegante Machart zeigt er uns, wie plump selbst anspruchsvolle Dramen teilweise vorgehen. „Für immer hier“ regt sein Publikum ohnehin in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken an. Und irgendwann nachdem dieser Film vorbei ist, müssen wir auch feststellen, wie viele unangenehme Gepflogenheiten des anspruchsvollen Filmdramas dieser Film vermieden hat. Wie viele längst ermüdende Klischees uns dieser Film erspart hat.
 
Salles und seine beiden Drehbuchautoren Murilo Hauser und Heitor Hauser arbeiten nach einer Vorlage von Marcelo Rubens Paiva, dem Sohn der Hauptfigur Eunice Paiva. Und schnell erweisen sich die Filmemacher würdig, diese ganz persönliche Geschichte umzusetzen. Sie liefern kein großes Drama, keine pathetischen Dialoge, keine klischeehaften Schurken- oder auch Heldenfiguren, … nichts von alledem. Dieser Film zeigt nur echte Menschen, mit all ihren Schwächen und Stärken, die sich wie echte Menschen unterhalten und benehmen und wirkt nicht nur deshalb stets zutiefst zugänglich und eben menschlich.
 
Das sieht man bereits früh im Film. Die Familie besitzt 1970 eine Schmalfilmkamera. Das vermittelt uns nicht nur die gute wirtschaftliche Situation der Paivas. Die geschickt eingesetzten Schmalfilm-Aufnahmen lassen uns immer wieder in die Wahrnehmung dieser Familie eintauchen, lassen uns die Welt sehen, wie sie die Welt gesehen haben, bevor diese Welt auf den Kopf gestellt wurde. Schnell sehen wir auch die Bedrohung dieser noch heilen Welt. Wir sehen die älteste Tochter mit ihren Freunden mit dem Auto herumfahren und ihr Leben genießen. Aber all das kommt zu einem abrupten Halt, als die jungen Leute in eine Straßenkontrolle geraten.
 
Wir bekommen gezeigt, wie Eunice zu der Situation in ihrem Land steht, wenn sie die jüngeren Kinder, die Nachrichten sehen wollen, gleich ins Bett schickt und dafür sorgt, dass die älteste Tochter zum Studium nach London geht. Und wir hören immer wieder kurze Fetzen von Telefongesprächen, die Eunices Mann in seinem Arbeitszimmer führt. Was wir nicht zu hören bekommen, sind langwierige und langweilige Dialoge und umständliche Erklärungen, darüber was Eunice denken und ihr Mann so treiben mag. Dergleichen ist absolut unnötig, weil wir sehr viel besser mit Eunice und ihrer Familie vertraut gemacht wurden als es den meisten Filmen mit ihren Hauptfiguren gelingt.
 
Und daher trifft uns die Verhaftung des Vaters nicht einfach, sie be-trifft uns. Rubens‘ Abwesenheit verunsichert uns ebenso, wie die ständige Anwesenheit der Beamten im Haus. Später erfahren wir Eunices Angst um ihre Tochter ebenso wie ihre Desorientierung während der Einzelhaft, die nur von sinnlosen Verhören unterbrochen wird. Besonders gelungen wirkt die Art, wie die Macher dieses Films die Schergen der Staatsgewalt zeigen. Wir sehen hier weder tumbe Sadisten, noch perfide Verhörspezialisten. Wir sehen tatsächlich Beamte, die einfach bloß eine Aufgabe ausführen. Das lässt die Situation viel bedrohlicher wirken als alle altbekannten Hollywood-Klischees es könnten.
 
Und vor diesem Hintergrund wirkt auch die Entwicklung der Hauptfigur viel stärker und bewegender als in so vielen anderen Filmdramen. Wir erleben wie sich Eunices ängstliche Erleichterung nach ihrer Freilassung in Entschlossenheit weiterentwickelt. Wir können sogar ihren Ärger verstehen, über das, was ihr Ehemann und seine Freunde vor ihren Augen und doch hinter ihrem Rücken getrieben haben. Wir können nachvollziehen, wie sie nach dem Zusammenbruch ihrer Welt nicht auch noch ihre Familie zerbrechen lassen will.
 
In einer der stärksten Szenen des Films soll die Familie für die regimekritische Presse fotografiert werden. Der Reporter bittet darum, doch vielleicht auf dem Foto nicht zu lächeln. Wir verstehen sofort, welches Narrativ der Journalist schaffen will. Wiederum ohne viel Dialog, wird das Lächeln von Eunice und ihren Kindern zu einem offenen Lachen. Diese Familie, die seit dem Verschwinden des Ehemanns und Vaters sicher nicht viel zu lachen hatte, zeigt Stärke, wenn man sie schwach sehen will. Nach einem bewegenden Epilog, werden wir Bilder der echten Familie Paiva zu sehen bekommen. Darunter wird uns auch das tatsächliche Pressefoto mit der echten lachenden Familie Paiva eine wichtige Botschaft vermitteln.
 
Sao Paolo 2014
 
Walter Salles zeigt uns all das in unaufdringlichen und doch eindrucksvollen Bildern. Kamera. Schnitt, Ton und Ausstattung bilden eine homogene Einheit, die den Schauspieler*innen den passenden Rahmen für ihre un-theatralischen und gar nicht dramatischen Darstellungen ganz normaler Menschen in besonderen Situationen bietet. Bei uns kaum bekannte Darsteller*innen wie Seltin Mello als Rubens lassen uns erfahren, in welcher Welt und welcher Zeit ihre Figuren gelebt haben. Die jungen Darsteller der Kinder der Familie Paiva leisten Erstaunliches. Sie spielen stets realistisch und nachvollziehbar und liefern so nicht nur den Hintergrund, sondern auch die Motivation für die starke Hauptfigur.
 
Auch Hauptdarstellerin Fernanda Torres verzichtet in ihrer Darstellung auf so viele längst langweilig gewordene Muster und Klischees, derer sich andere Schauspieler*innen immer noch und immer wieder bedienen. Stattdessen lässt sie uns das große Drama in kleinen Veränderungen erfahren. Wie Torres die Art zu sprechen und die Haltung von Eunice im Lauf der Handlung verändert, vermittelt uns die Entwicklung dieser Figur sehr viel feiner und doch eindrucksvoller als Dutzende große Gesten oder Monologe.
 
Diese Eunice muss sich beherrschen, muss ihr Leben und das ihrer Kinder in die Hand nehmen und Entscheidungen treffen. Das erkennen und das fühlen wir, wenn sie beim Vorlesen eines Briefes der Tochter zögert, aber auch wenn sie in einer Kirche kaum Rücksicht auf den Ort oder die Ängste ihrer Gesprächspartnerin nehmen kann. In einer späten Szene sehen wir Eunice nicht einfach älter, sondern gereift.
 
Fernanda Torres zeigt hier nicht einfach nur die beste, sondern auch die subtilste und differenzierteste darstellerische Leistung des Jahres. Jede der für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominierten Damen hat einen sehr guten Job gemacht. Aber verglichen mit Fernanda Torres haben Mikey Madison Boulevard-Theater gespielt und Cynthia Erivo opera buffa. Und so sehr ich Demi Moore schätze und ihr den Oscar gönnen möchte, verglichen mit der Leistung von Fernanda Torres hat Frau Moore in „The Substance“ eine Zirkusnummer zum Besten gegeben, mutig und eindrucksvoll aber ungefähr so subtil wie eine menschliche Kanonenkugel.
 
Fernanda Torres hat uns die Entwicklung eines echten Menschen über Jahre und Jahrzehnte erfahren lassen. Im bereits erwähnten Epilog wird die greise Eunice im Kreis ihrer Familie sehr bewegend von Fernanda Montenegro dargestellt, der leiblichen Mutter von Fernanda Torres.
 
 
Fazit
 
Dieser Film ist von vorne bis hinten gelungen. Er ist gerade in der heutigen Zeit immens wichtig und berührt uns tief. Dieser Film zeigt aber auch, wie plump viele andere Filmdramen gestaltet sind. „Für immer hier“ ist ein feiner, sensibler Film über wichtige Themen.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Walter Salles
  • Drehbuch: Murilo Hauser, Heitor Lorega
  • Besetzung: Fernanda Torres, Selton Mello