Here - Kinostart: 12.12.2024

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Robert Zemeckis hat es sich als Filmemacher kaum jemals leicht gemacht.
 
Leider hat er es dem Publikum oft auch nicht leicht gemacht. In seinem neue Film stellt er sich selbst und das Publikum wieder vor Herausforderungen ...
 
I bless the day I found you
 
In seinem neuen Film erzählt Robert Zemeckis die mehrere Jahrzehnte umspannende Geschichte einer Familie anhand vieler Szenen, die alle im gleichen Raum des gleichen Hauses aus dem gleichen Blickwinkel gezeigt werden. Aber damit nicht genug. Aus der stets unveränderten Kameraperspektive erzählt er die Geschichten zweier Familien, die früher dieses Haus bewohnt haben. Und die einer Familie, die im Haus gegenüber gewohnt hat, bevor das eigentliche Haus gebaut wurde. Und noch die Geschichte einiger Ureinwohner, die vor der Kolonialisierung Amerikas an der Stelle gewohnt haben. Und wir sehen das Aussterben der Dinosaurier und so weiter und so fort ... alles aus dem gleichen Blickwinkel, ...
 
Man muss schon sagen, Zemeckis ist so ziemlich der beste Regisseur, wenn es darum geht, technische Herausforderungen zu meistern, bloß um Geschichten auf neue, besondere Arten zu erzählen. Seine „Zurück in die Zukunft“-Trilogie enthält mehr und bessere Trickaufnahmen, als den meisten Leuten bewusst ist. Das grandiose Zusammenspiel von Cartoon- und Realfilm-Elementen in „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ ist bis heute unerreicht. „Forrest Gump“ hat die Hände verstorbener Präsidenten geschüttelt. Einige Jahre lang war Zemeckis DER Meister der Motion-Capture-Technik. Das Drama „Flight“ beginnt mit einer Sequenz, auf die jeder „Star Wars“- oder MCU-Film stolz sein dürfte und so weiter und so fort ...
 
Die zweite Besonderheit im Werk von Zemeckis ist es, dass fast jeder seiner Filme einen beim ersten Ansehen tief beeindruckt, man diese Filme aber niemals mit einem gewissen Abstand ein zweites Mal ansehen darf, wenn man den tiefen Eindruck nach dem ersten Sehen nicht zerstören möchte. Ich weiß, wir echten Filmfans müssen bestimmte Filme immer und immer wieder sehen. Bei den Filmen von Robert Zemeckis kann ich davon nur dringend abraten. Ich habe diesen Fehler als Teenager zum ersten Mal gemacht und konnte einfach nicht ausblenden, wie schräg es ist, dass Marty McFlys Mutter dauernd mit ihm rummachen möchte und ihr erfolgreicher Ehemann später einen Mann für sich arbeiten lässt, den er einmal nur mit Gewalt davon abhalten konnte, die Liebe seines Lebens zu vergewaltigen.
 
Als junger Mann konnte ich dann die problematischen Frauenfiguren in „Forrest Gump“ nicht mehr ignorieren. Bei „Contact“ hätte ich es bereits besser wissen müssen und wollte nicht nur wegen der letzten zwanzig Minuten des Films laut aufschreien. Bei „Cast Away“ ist das ganze letzte Drittel des Films verschwendet und die Frauenfigur ist wieder sehr problematisch geschrieben. Die Motion-Capture-Filme sind für Kinder allesamt ungeeignet. „Flight“ beginnt als hochintelligentes Drama und wird zum Ende hin immer dümmer und banaler. Spätestens bei „Willkommen in Marwen“ ist das problematische Frauenbild zum Muster geworden und so weiter und so fort ... Es wirkt oft, als hätte sich Zemeckis mit seinen technischen Spielereien verzettelt und darüber die Geschichten und die Figuren aus den Augen verloren.
 
 
I want to stay around you
 
Für alle Filmfans, die an diesen technischen Spielereien immer Gefallen fanden, kommt nun „Here“ in die Kinos. In „Here“ sind die technischen Herausforderungen und die dazu nötigen Spielereien endlich völlig zum Selbstzweck geworden. Dieser Film ist nur noch Technik. Geschichten werden zwar erzählt, aber bloß um die Technik vorzuführen. Man möchte Robert Zemeckis sagen: „Wow! 65 Millionen Jahre aus dem gleichen Blickwinkel! Toll! Wirklich toll! Dass die Figuren oft unpassend oder sogar richtiggehend ungemütlich eng beisammenstehen müssen, um in den Bildausschnitt zu passen, war dabei völlig gleichgültig, oder? Und dann noch der ganze Aufwand mit dem De-Aging! So richtig funktioniert das ja kaum, oder? Bei Robin Wright klappt das noch halbwegs, aber selbst sie sieht in „jungen“ Szenen ein bisschen wie eine Parodie ihrer selbst aus. Und Tom Hanks sieht in seinen Szenen als Teenager aus wie Mitte Dreißig. Mal ehrlich, das Ganze war ohnehin weniger digitales „De-Aging“ als einfach „Aging“ durch die Maskenbildner. Paul Bettany sieht als junger Kriegsheimkehrer einfach aus wie Paul Bettany sonst auch aussieht. Und warum sieht Tom Hanks, der aktuell 68 Jahre alt ist, in Szenen, in denen er gerade mal Ende Fünfzig sein soll, älter aus als in der Realität? Hast Du irgendwann einfach den Überblick verloren?“
 
 
Aber man darf davon ausgehen, dass schon seit langer Zeit niemand so mit Robert Zemeckis gesprochen hat. Und unbequeme Fragen nach dem Sinn seiner Spielereien bekommt er vermutlich auch längst nicht mehr gestellt. Zemeckis und sein neuer Film zeigen deutlich eine bedenkliche Entwicklung der letzten Jahre in Hollywood auf: Da die Entscheidungsträger der großen Studios keine Ahnung von Film haben, suchen sie sich einfach renommierte Regisseure und stellen ihnen Geld zur Verfügung. Damit sollen die dann irgendwas machen. Und dann macht z.B. Martin Scorsese einen wunderschönen aber langweiligen Dreieinhalb-Stunden-Film. Oder Yorgos Lanthimos darf seine Lieblingsschauspielerin wieder mal nackt zeigen, weil ihr das schon mal einen Oscar eingebracht hat.
 
Oder Herr Zemeckis darf sich eben wieder mal technisch austoben. Warum schreibe ich so viel über Zemeckis‘ technische Spielereien? Weil der Film sonst nicht viel zu bieten hat. Die verschiedenen Geschichten sind banal und vorhersehbar. Tatsächlich erzählt der Film bloß eine Geschichte, die Nebenhandlungen sind unergiebig und verlängern bloß die Laufzeit. Ein Handlungsfaden rund um das Haus gegenüber ist bloß ein historisches Easter-Egg. Die jeweils fünf oder sechs kurzen Szenen, mit denen die „Geschichten“ einer schwarzen Familie und eines Pärchens amerikanischer Ureinwohner nicht erzählt sondern kaum angerissen werden, wirken wie nachträgliche Einfälle und haben direkt etwas Gönnerhaftes, im Sinne von „Komm, zum Drüberstreuen machen wir noch was mit Minderheiten. Die freuen sich.“.
 
Die Haupthandlung rund um die Familie, die das Haus von den späten Vierzigerjahren bis in die Zweitausender bewohnt, läuft auf dem Niveau der Drehbücher alter Fernsehserien ab. Dabei ergibt sie keinerlei Sinn. Ein Boomer-Paar, das sich in den USA von späten Sechzigerjahren bis zur Jahrtausendwende, trotz zweier Einkommen kein eigenes Haus leisten konnte, muss komplett lebensunfähig gewesen sein. Ach ja, diesmal muss man sich den Film nicht zweimal ansehen, um das Muster des problematischen Frauenbildes erkennen zu können. Oder anders ausgedrückt, man hat das alles eigentlich bereits gesehen. Erinnern wir uns kurz an die von Robin Wright gespielte Figur der Jenny, für die der von Tom Hanks gespielte Forrest Gump immer alles getan hat, die aber erst zu ihm zurückkehrte als sie schwer krank war? Ich will nicht zu viel verraten. Aber ich stelle mir gern vor, wie Robin Wright das Drehbuch zu „Here“ zunächst zerrissen und Zemeckis angeschrien hat, „Schon wieder?! Ernsthaft? Findest Du das witzig, Du Armleuchter? Was ist eigentlich Dein Problem?“. Aber das ist wohl leider nie passiert.
 
And so I beg you, let it be me
 
In einem Film, der mehr technische Leistungsschau als ein echtes Drama ist, gibt es für die Darsteller*innen zwar viel zu tun, aber nichts zu erreichen. Tom Hanks Leistung in diesem Film liegt über seinen Leistungen in Filmen wie „Der Polarexpress“ oder „Pinocchio“, aber nicht weit darüber. Robin Wright, die erst vor kurzem in „Abseits des Lebens“ die volle Bandbreite ihres Könnens gezeigt hat, leistet in „Here“ kaum mehr als in „Beowulf“.
 
Paul Bettany hat bereits bewiesen, was er in technisch überladenen Filmen leisten kann. Aber „Solo: A Star Wars Story“ und „Avengers: Infinity War“ waren große Filme. Also hat Bettany in diesem Filmen groß aufgespielt. „Here“ liegt zwar nicht technisch, aber inhaltlich auf dem Niveau mittelmäßiger Fernsehserien. Daher hat sich Bettany wohl entschieden auch entsprechend zu spielen. Dazu passt auch die Leistung von Michelle Dockery, die eine Variante ihrer Figur aus „Downton Abbey“ spielt. Kelly Reilly war unter Zemeckis‘ Regie großartig in „Flight“. Hier bleibt ihre Darstellung leider farblos und noch hinter der in „A Haunting in Venice“ zurück.
 
 
Fazit
 
Zemeckis hat nur die technischen Herausforderungen seines ehrgeizigen neuen Filmprojekts beachtet und selbst diese kaum gemeistert. Den inhaltlichen, erzählerischen und anderen Herausforderungen hat er sich erst gar nicht wirklich gestellt. Das ergibt einen weiteren skurrilen künstlerischen Fehlschlag. Nun kann man nur noch abwarten, wie viele unverdiente Oscar-Nominierungen „Here“ absahnen wird.
 
 
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Robert Zemeckis
  • Drehbuch: Eric Roth
  • Besetzung: Tom Hanks, Robin Wright