Die Fabelmans - Kinostart: 09.03.2023

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Steven Spielberg ist einer der erfolgreichsten Filmemacher aller Zeiten.
 
Er hat den modernen Blockbuster mitbegründet. Nun hat er einen Film über seine Kindheit und Jugend gemacht ...
 
Dreams are so scary
 
Ich habe „Die Fabelmans“ wenige Tage nach „Avatar – The Way of Water“ gesehen. Das mag einige Leser*innen überraschen, aber die meisten Filme werden der Presse Wochen und Monate vor dem Start gezeigt. Nur bei Blockbustern wird diese Frist auf wenige Tage reduziert, um „Leaks“ zu vermeiden. Ich schreibe diese Zeilen im Dezember 2022. „Die Fabelmans“ und „Avatar – The Way of Water gesehen“ sind beides jeweils Lieblingsprojekte zwei der erfolgreichsten Filmemacher der Kinogeschichte. Damit ist die Liste der Gemeinsamkeiten aber bereits an ihrem Ende angekommen.
 
„Avatar – The Way of Water“ ist ein Produkt, das verkauft wird. Ein großer Teil der Entscheidungen, die vor, während und nach den Dreharbeiten dieses Films getroffen wurden, waren weniger künstlerische Entscheidungen als viel mehr vertriebstechnische. „Die Fabelmans“ ist ein Film über und für das Kino, eine Liebeserklärung an die Filmkunst. In „Avatar 2” geht es um Kämpfe zwischen Glitzerwesen und futuristischen Kriegsmaschinen. In „Die Fabelmans“ geht es um Liebe, um Familie, um Kunst. Es geht um Verlust und Entscheidungen. Es geht um Leidenschaft und um Verzicht. Es geht ums Erwachsenwerden und um Träume und noch viel mehr.
 
„Avatar 2” lässt aufmerksame Filmfans erkennen, was bei modernen Blockbustern alles nicht stimmt (ausführliche Kritik hier auf cinepreview.de). „Die Fabelmans“ zeigt uns nicht bloß, wie Film entsteht. Dieser Film zeigt uns, wie die Liebe zum Film entsteht. Bereits in seinen ersten beiden Szenen schafft Spielberg etwas, das moderne Blockbuster – und das gilt auch für die von Steven Spielberg inszenierten – schon lange nicht mehr schaffen. Dieser Film versetzt uns in Staunen! Dieser Film vermittelt uns die Aufregung und das Wunder dessen, was der Protagonist erlebt!
 
Spielberg beherrschte dieses Kunststück lange Zeit wie kaum ein zweiter Filmemacher. „Der weiße Hai“ war etwas ganz Besonderes, noch bevor das Tier nach über einer Stunde Film zum ersten Mal zu sehen war. Einige Jahre später staunten wir über den Kartenraum und den Stab des Re lange bevor wir die die Bundeslade zu sehen bekamen. Wir konnten verstehen, warum dem Paläontologen beim Anblick des gigantischen Sauropoden die Knie schwach wurden. Wir haben zusammen mit dem kleinen Christian Bale laut aufgelacht und dann geweint, als er endlich die „P51 – Cadillac of the Sky“ zu sehen bekam. Ja, wir konnten sie auch berühren, die Hitze fühlen und sie schmecken.
 
Aber all das ist lange her. Bei „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ haben wir nur über das dumme Drehbuch gestaunt. Bei „Ready Player One“ wurden niemandem die Knie schwach. Und an der glatten Künstlichkeit von „West Side Story“ konnten wir nichts berühren, fühlen oder schmecken. So kompetent all seine Filme der letzten zwanzig Jahre auch gemacht waren, seit den ersten fünfzehn Minuten von „Saving Private Ryan“ und vielleicht noch dem Ende von „A.I.“ hat uns Spielberg nicht mehr in Staunen versetzt.
 
Aber bereits in der ersten Szene von „Die Fabelmans“ ist alles wieder da: Das Staunen! Die Aufregung! Das Wunder! Wir fühlen die Angst des kleinen Sam vor seinem ersten Kinobesuch. Er will nicht im Dunkeln sitzen und riesige Menschen sehen. Nur die Geborgenheit seiner Familie lässt ihn seine Angst überwinden. Und dann sitzen wir zusammen mit dem kleinen Jungen im Kinosaal. Mit offenem Mund starren wir gebannt auf die Leinwand und können nicht glauben, was dort zu sehen ist. Wir sehen „The Greatest Show on Earth“. Und tatsächlich sind wir wieder zehn Jahre alt und haben nie etwas Großartigeres gesehen.
 
Spielberg versetzt uns nicht nur in Staunen. Er zeigt uns diese Szene als Initialzündung, als ersten Funken. Und er zeigt, wie der Funke überspringt. Und wie Sams Mutter ihm den Zunder liefert, damit er ein kleines Feuer schüren kann. Und wie Sam dieses Feuer weiter schürt und Brennmaterial nachlegt und dafür sorgt, dass dieses Feuer nie ausgeht und immer höher lodert, wie es den jungen Sam für den Rest seines Lebens wärmen und antreiben wird.
 
Aber Spielberg erzählt nicht nur seine Geschichte, wie er zum Filmemacher wurde. Er erzählt auch die Geschichte seiner Familie. Wir lernen seine Mutter kennen, eine Frau die erst spät erkennt, welches unmögliche Arrangement sie für ihr Leben getroffen hat. Wir lernen den Vater kennen, der immer das Richtige tun will und nicht sehen kann, welche Fehler er dadurch begeht. Spielberg erzählt vom Antisemitismus in der Klassengesellschaft einer amerikanischen High School. Jede Nebenfigur dieses Films hat ihre eigene Geschichte.
 
 
Movies are dreams that you never forget
 
Und Spielberg erzählt all diese Geschichten mit filmischen Mitteln. In einer Zeit, in der die meisten Filme auch als Hörspiele funktionieren wurden, erzählt Spielberg die Geschichten seines Films in großartigen Bildern. Wir sehen wie Sam durch Bilder lernt. Wir sehen wie er den Blick eines echten Filmemachers entwickelt. Sogar eine Konfrontation zu einem Betrug erfolgt in Bildern. Aufgenommen hat diese Bilder der großartige Janusz Kamiński, der seine hochverdienten Oscars für „Schindlers Liste“ und „Saving Private Ryan“ bekommen hat.
 
Und diese Bilder werden von Musik, ... nein nicht „untermalt“. Diese Bilder werden von Musik begleitet, sie werden von ihr ergänzt. Diese Musik, die uns unaufdringlich und doch immer zugänglich die Gefühle der Figuren auf der Leinwand und die Stimmung der Szenen vermittelt, stammt wieder einmal vom großen John Williams. John Williams hat seine noch viel höher verdienten Oscars für „Anatevka“, „Der weiße Hai“, „Star Wars“, „E.T.“ und „Schindlers Liste“ gewonnen. Williams hat aber auch die Musik für Filme wie „Superman“, „Kevin - Allein zu Haus“ „Harry Potter“ und fast jeden Film von Spielberg seit „Sugarland Express“ geschrieben. Einfach an ein Stück großartiger Filmmusik denken. Die Chancen stehen gut, dass es von John Williams stammt.
 
Nur wenn es wirklich nötig ist, werden die Geschichten der „Fabelmans“ in Dialogen erzählt. Durch diesen wohldosierten Einsatz entwickelt das Gesagte eine Wirkung, an manchen Stellen eine Wucht die den Dialogen vieler neuerer Filme fehlt. Der Anführer einer Mobbing-Clique an der High School liefert in seiner stärksten Szene keinen geschliffenen Dialog. Sein Gestammel drückt die immense Verwirrung eines jungen Menschen aus, der sich zum ersten Mal in seinem Leben infrage stellt. Wenn die Mutter zum Sohn sagt, „You really see me“, erkennt sie zum ersten Mal, dass und wie andere sie sehen. Und am Ende muss ein Vater einsehen, dass sein Weg vielleicht nicht der Weg des Sohnes sein kann.
 
Natürlich ist auch „Die Fabelmanns“ nicht perfekt. Spielberg hatte immer schon die Neigung, Meisterwerke durch ungeschickte Fehler fast zu verderben. Und auch in „Die Fabelmans“ hätte Spielberg kritischer mit sich selbst sein oder auch mal auf andere hören können. Es ist ein kleiner, aber leicht vermeidbarer Fehler, wenn ein und dasselbe Auto innerhalb weniger Sekunden einmal von einer Seite und dann von der ganzen anderen Seite im Hintergrund durchs Bild fährt. Aber warum weiß der jüdisch erzogene Spielberg nicht, dass man die Kerzen am Chanukka-Leuchter sicher nicht von links nach rechts sondern von rechts nach links anzündet? So etwas stört die homogene Gesamtstimmung des Films.
 
Und natürlich ist „Die Fabelmans“ zu lang. Es ist verständlich, wenn Spielberg seinen autobiografischen Film mit so vielen Erlebnissen wie möglich vollgestopft hat. Sams erste Romanze bereichert den Film nicht und sein Verhalten an ihrem Ende lässt den Helden weniger unreif als einfältig wirken. Eine Versöhnung mit der Mutter wirkt aufgesetzt und löst auch nichts wirklich auf.
 
Nachdem der Film gegen Ende dann ein bisschen zu schwächeln beginnt, überrascht uns Spielberg noch mit einer Episode aus dem Leben des jungen Sam, an der alles einfach nur großartig ist. Die Inszenierung ist superb. Eine Regielegende des alten Hollywood wird durch eine noch lebende Regielegende dargestellt, was die Besetzung auf eine Meta-Ebene hebt. Und die letzte Szene dieser grandiosen Geschichte über das Heranwachsen eines großen Filmemachers liefert noch einen wunderschönen visuellen Gag darüber, wie man Filme interessant gestaltet.
 
Art is no game
 
Spielberg weiß seit Jahrzehnten, das Casting ist der wichtigste Teil der Arbeit eines Regisseurs mit den Schauspielern. „E.T.“ hätte niemals richtig funktionieren können, hätte Spielberg von dreißig Jahren nicht eine der besten Kinder-Besetzung aller Zeiten für seinen Film gehabt. Und auch die jungen „Fabelmans“ sind alle großartig. Ein herzallerliebster junger Mann namens Mateo Zoryan lässt uns als kleiner Sammy all die unschuldige Neugier eines Kindes im ersten Akt des Films erleben.
 
Gabriel LaBelle („Predator Upgrade“) trägt den größten Teil des Films fast allein auf seinen noch recht schmalen Schultern. Er vermittelt uns als jugendlicher Sam die Begeisterung des jungen Künstlers ebenso wie seine Frustration mit seiner Familie, seine Wut über die Ungerechtigkeit an der Schule und seine Ohnmacht gegenüber der Welt der Erwachsenen.
 
Keeley Karsten, die kleine Sophie Kopera und vor allem Julia Butters runden das Bild als Sams drei Schwestern ab. Julia Butters hat bereits in „Once upon a time in Hollywood“ brilliert und beeindruckt auch hier wieder mit einer Darstellung von bewundernswerter Reife.
 
Paul Dano („There will be Blood“, „Swiss Army Man“) ist auf unspektakuläre, zurückhaltende Weise großartig als Vater, der zu lange nicht versteht, dass seiner Frau und seiner Familie nicht die gleichen Dinge wichtig sind wie ihm. Michelle Williams („My Week with Marilyn“, „Shutter Island“) schafft es, uns eine unausgeglichene Egozentrikerin sympathisch zu machen. Seth Rogen („Ananas Express“) bleibt etwas farblos als Onkel Bennie. Aber das lag sicher in Spielbergs Absicht.
 
Der Film ist für März 2023 angekündigt. Das bedeutet, bis diese Rezension erscheint, wird „Die Fabelmans“ ziemlich sicher für einige Oscars nominiert worden sein. Aber bedauerlicherweise wird kein Oscar für die beste Nebenrolle für Judd Hirsch unter den Nominierungen sein. Das ist eine Schande. Hirsch kennt man bei uns leider hauptsächlich als Jeff Goldblums Vater in „Independence Day“ oder aus Nebenrollen in Fernsehserien. Filme wie Robert Redfords Regiedebut „Ordinary People“ sind leider mittlerweile fast in Vergessenheit geraten.
 
Judd Hirsch hat in „Die Fabelmans“ nur drei Szenen. Die erste ist ein Fest für einen erfahrenen Schauspieler. Die zweite Szene ist ein Triumph. Der von Hirsch gespielte Onkel Boris vermittelt der Hauptfigur und dem Publikum einige grundlegende Weisheiten über das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Dabei spricht er nicht einfach zu uns. Seine Darstellung ist so intensiv, er spricht in uns hinein. Wer bisher noch keinen Grund erkennen kann, sich diesen Film anzusehen, sollte ihn sich nur wegen Judd Hirschs Leistung in dieser einen Szene ansehen.
 
 
Fazit
 
Dieser Film ist alles, was Spielbergs letzte Filme nicht waren: warmherzig, berührend, intensiv und mitreißend, lustig und traurig wie das Leben selbst. „Die Fabelmans“ ist Spielbergs Liebeserklärung an seine Familie, das Kino und die Filmkunst.
 
 
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Steven Spielberg
  • Drehbuch: Tony Kushner
  • Besetzung: Gabriel LaBelle, Michelle Williams