Anders. So könnte man Tom Fords Werk »Nocturnal Animals« am besten beschreiben.
In seiner Bildgestaltung, Cadrage sowie im Szenenbild dagegen gibt sich der Regisseur, der einst mit »A Single Man« auf sich aufmerksam machte, sklavisch konventionell, nur um im erzählerischen Ton seiner nihilistischen Neo Noir-Geschichte komplett andere Wege zu gehen und den Zuschauer wahrlich vor den Kopf zu stoßen.
Susan (Amy Adams) ist eine erfolgreiche Künstlerin, die seit ihrer Scheidung von ihrem Ex-Mann Edward (Jake Gyllenhaal) völlig verloren in ihrer eigenen elitären Welt wie ein Fremdkörper lebt. Eines Tages bekommt sie ein Manuskript von Edward zugeschickt, welches den Namen »Nocturnal Animals« trägt und ihr gewidmet wurde. Das Buch handelt von Tony (ebenfalls Jake Gyllenhaal), der mit seiner Frau Laura (Isla Fisher) und seiner Tochter India (Ellie Bamber) einen Ausflug auf das Land machen will und dabei nachts auf dem Highway vom finsteren Ray (Aaron Taylor-Johnson) und seinen Schergen überfallen wird. Dabei wird Tony allein in der Ödnis zurückgelassen, während Frau und Kind entführt wurden. Beim Lesen der dramatischen Geschichte wird Susan immer klarer, wieso ihre Beziehung mit Edward nicht funktionieren konnte…
»Nocturnal Animals« besitzt zwei Handlungsstränge, die zwei völlig verschiedene Geschichten ohne jeden Zusammenhang erzählen und doch clever zusammenpassen. Hier gelingt Regisseur und Autor Tom Ford das Kunststück, diese zwei Elemente sinnvoll zu einem Ganzen zu fügen. Die Handlung wechselt dabei ständig im Minutentakt zwischen den beiden Ebenen, doch nie wirkt das deplatziert, hektisch oder unschlüssig. Und zwischen den Zeilen ergibt sich auch mehr und mehr der Zusammenhang, warum gerade diese zwei Geschichten erzählt werden. Nicht grundlos spielt Jake Gyllenhaal in beiden mit.
»Nocturnal Animals« handelt unter Anderem von den eigenen Selbstzweifeln und unserem fehlenden Mut, den inneren Schweinehund zu überwinden und die eigenen Ängste zu besiegen. Wenn Tony hinter einer sicheren Deckung einfach nur zusieht, wie seine Frau und seine Tochter verschleppt werden, anstatt einzuschreiten und für sie zu kämpfen, dann ist ganz und gar wenig heroisch. In »Nocturnal Animals« gibt es eben nicht den starken Superhelden, den wir sonst immer als Protagonist spendiert bekommen. Tony ist innerlich schwach, feige und zerrissen. Ford stellt die mutige Frage, ob wir selbst auch überhaupt in dieser Situation den Mut gehabt hätten, anders zu handeln.
Fords Film begibt sich immer wieder auf diese heiklen Pfade mit all seinen Anti-Helden, doch die zentrale Figur bleibt Susan, auf die in den entscheidenden Momenten der Tony-Geschichte immer wieder geschnitten wird, um ihren emotionalen Eindruck einzufassen. Denn letztendlich zählt ihre Wahrnehmung des Ganzen, durch die der Zuschauer auch das Manuskript miterlebt. Amy Adams (»Arrival«) gibt sich dabei beeindruckend kühl wie präsent und zeigt, dass sie neben Mauerblümchen-Rollen wie in »Batman V. Superman« auch ganz anders kann. Doch den stärksten Part hat wieder einmal Jake Gyllenhaal (»Nightcrawler«), der in gleich zwei Rollen gewohnt souverän seine Performance gibt, wie es zurzeit kaum ein Zweiter kann.
Ebenso superb besetzt sind die Rollen von Aaron Taylor-Johnson (»Avengers: Age of Ultron«) als verachtenswerter Hinterwäldler Ray und Michael Shannon (»Man of Steel«), der den gesundheitlich verwahrlosten Sherriff Bobby Andes spielt. Shannons Part ist dabei herrlich komisch, mit sehr schwarzem Humor versehen, wohlgemerkt. Der trotz Lungenkrebs kettenrauchende Sherriff stellt sich dabei mit seinem Sinn für Gerechtigkeit als wohl die sympathischste Figur in beiden Geschichten heraus. Ohne hässliche Ecken und Kanten kommt ohnehin niemand in »Nocturnal Animals« aus.
Bereits die ersten Minuten des Films sind derart andersartig, dass der Zuschauer sich zugleich pure Ästhetik und ekelhafte Abstoßung verspürt. Eine Ambivalenz, die sich durch Fords gesamte Welt und seine Figuren zieht. So ist das zentrale Element die Beziehung von Susan und Edward, die sich auch in Edwards Manuskript widerspiegelt, wenn auch nicht auf den ersten Blick. In beiden Geschichten ist das Handeln der Charaktere zum Scheitern verurteilt. Die Ehe von Susan und Edward war es auch, obwohl beide zunächst wie geschaffen füreinander scheinen.
In einer dritten Erzählebene, einer Rückblende, wird das Scheitern dieser Ehe in kurzen Dialogszenen dargeboten und obwohl sich diese zeitlich nicht immer gleich in das gesamte Gefüge einordnen lassen, offenbart sich dem Zuschauer mehr und mehr das Dilemma der in dieser Welt gefangenen Charaktere. In »Nocturnal Animals« sind alle Figuren irgendwie eben Nocturnal Animals, also nachtaktive Wesen, die keinen Schlaf bzw. keinen inneren Frieden finden und sich selbst akzeptieren können. Tom Fords Protagonisten sind zugleich Antagonisten, wie erwähnt: Ambivalent.
Das Ford eigentlich mal Mode-Designer war, sieht man dem Film jederzeit an. Jedes Bild ist extrem klar strukturiert und aufgebaut und folgt glasklaren Konventionen. Wie ein hochwertiges Design-Produkt reizt Ford seine Einstellungen bis zur Perfektion aus. Es gibt keinen Raum für verspielte Experimentierfreudigkeit. Farben und Hintergründe sind unterkühlt gehalten und selbst in den spannendsten Momenten scheint Ford nie den inszenatorischen Boden zu verlieren.
Den Freiraum für Überraschungen gibt Ford dafür seinem Plot, der zahlreiche Interpretationen zulässt und in diesem Text nur angekratzt werden konnte. Am Ende wird die Geschichte um Susan jedenfalls bitterböse aufgelöst und lässt den Zuschauer mit einem wahrlich unangenehmen Gefühl zurück. »Nocturnal Animals« kann einen bis dahin weder unterhalten noch amüsieren, Tom Fords Film ist vielmehr modern gewordenes Film Noir.
Fazit
Ein zynisches Melodram, das ungeheuer viel Faszination erzeugt, wenn man sich darauf einlässt. Ein ganz besonderer Film.
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