Man nehme zwei grundverschiedene Figuren und schicke sie auf eine Reise ...
... mit allerhand Verwicklungen. Fertig ist ein aufregendes Roadmovie? Nicht ganz, wie die Romanadaption „Marianengraben“ beweist.
Gefangen in der Tiefe
Die Lust, am Leben teilzunehmen, ist bei Paula (Luna Wedler) erloschen, seit ihr kleiner Bruder Tim (Willie Vonnemann) im italienischen Triest im Meer ertrank. Schuldgefühle plagen die junge Frau, die ihr Studium der Meeresbiologie kurz vor dem Abschluss ruhen lässt. Die Kommunikation mit ihrer Mutter beschränkt sich auf ein Minimum. Und eigentlich will sie nur noch eins: Tim endlich nahe sein, sich nicht mehr durch diese Welt kämpfen, die ohne ihn so viel trister ist.
Jasmin Schreibers Roman „Marianengraben“ und seine Verfilmung durch Eileen Byrne kreisen um die schweren Themen Schmerz und Trauer, nutzen jedoch in klassischer Manier einen Roadtrip, um ihrer Protagonistin die Kraft zu geben, aus der Tiefe der beklemmenden Gefühle wieder aufzutauchen. Anfangs, so heißt es metaphorisch etwas plakativ, befindet sich Paula noch 11.000 Meter unter dem Meeresspiegel am Boden des Marianengrabens, glaubt, fast erdrückt zu werden von ihrem Verlust.
Warum sie sich dann aber langsam freischwimmen kann? Weil sie auf dem Friedhof eine schicksalhafte Begegnung hat. Eben dort läuft sie dem Grantler Helmut (Edgar Selge) über den Weg, der die Asche seiner verstorbenen Ex-Frau ausbuddelt und mit ihr nach Südtirol abdampfen will. An einen Ort, der den beiden einst viel bedeutet hat. Ohne große Umschweife und durchaus ein wenig forciert macht das von Debütregisseurin Byrne geschriebene Drehbuch aus Paula und Helmut eine Zweckgemeinschaft, die noch in derselben Nacht die Straßen erobert. Paulas Ziel: Nach Triest fahren, wo sie die Unfallstelle ihres Bruders aufsuchen möchte.
View the embedded image gallery online at:
https://cinepreview.de/index.php/item/1068-marianengraben-kinostart-07-11-2024#sigProId60de690816
https://cinepreview.de/index.php/item/1068-marianengraben-kinostart-07-11-2024#sigProId60de690816
Was folgt, kennt man aus unzähligen anderen Roadmovies: Die beiden beschnuppern sich, kriegen sich in die Haare, nähern sich an, entdecken Gemeinsamkeiten und stützen sich plötzlich gegenseitig. Trotz der ernsten Grundthematik schwingt dabei stets ein bisschen absurde Komik mit, die dann und wann auch eine Spur zu platt daherkommt. Nacktwanderer, denen die beiden Reisenden über den Weg laufen, beispielsweise sprechen natürlich in breitem Dialekt und gehen ausgerechnet dort baden, wo Paula und Helmut in Ruhe verweilen wollen.
Hübsche Landschaftsbilder, forcierte Konflikte
Der Hang, Dinge überdeutlich auszumalen und gewisse Wendungen mit der Brechstange herbeizuführen, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Phasen der Trennung wirken oft arg konstruiert und sind erstaunlich schnell wieder vorüber. Besonders viel Wohlwollen verlangt „Marianengraben“ vom Publikum, wenn es um die zu Tage tretenden Parallelen der Reisegefährten geht. Das Element Wasser, das eigentlich ständig eine Rolle spielt, ist auch hier von zentraler Bedeutung.
Auf erzählerischer Ebene ruckelt es ohnehin mehrfach. So werden manche Plot-Ideen unvermittelt eingeführt, um dann ebenso schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden. Etwas einfach macht es sich Eileen Byrne vor allem mit Blick auf den kleinen Tim, den seine große Schwester wiederholt vor sich sieht. Das allein wäre ja noch in Ordnung. Mehr als einmal sind es aber seine Hinweise und Offenbarungen, die Paulas Verhalten in eine bestimmte Richtung lenken. Einen allwissenden Toten als Wegweiser kann sicher jeder gut gebrauchen.
Genrekonform gibt es einige prächtige raue Landschaftsbilder zu bestaunen. Interesse am Geschehen weckt allerdings besonders das gut aufeinander abgestimmte Spiel der beiden Hauptdarsteller. Dank ihnen werden die etwas holzschnittartigen Figuren halbwegs lebendig und schaffen es in einigen Passagen tatsächlich, zu berühren. Sporadisch liefert die Roadmovie-Tragikomödie einfache, aber kraftvoll-kluge Einsichten.
Etwa dann, wenn Helmut betont, dass es ein Unterschied sei, ob man das Leben „nur“ nicht aushalten könne oder wirklich tot sein wolle. Leider gibt es aber auch mehrere Stellen, an denen Wedler und Selge krampfhaft tiefgründige Sätze aussprechen und Kalenderweisheiten aufsagen müssen. Ab einem gewissen Punkt ist es nicht sehr schwer, die Ereignisse im letzten Drittel vorauszuahnen. Glücklicherweise drückt die Regisseurin gegen Ende jedoch nicht mit allzu plumpen Mitteln auf die Tränendrüse.
Fazit
Roadtrip mit gut aufgelegten Hauptdarstellern, der allerdings arg überkonstruiert ausfällt und unter dem Strich zu belanglos bleibt, um die Themen Trauer, Schmerz und Loslassen tiefschürfend zu ergründen.
|
Unterstütze CinePreview.DE:
|
Ähnliche Kritiken
Euphoria - Kinostart: 24.05.2018
Euphoria ist ein sehr nachdenklicher Film, mit vielen Reflexionsmöglichkeiten.
Sehr behutsam nähert er sich dem Thema Sterbehilfe. Das ist nicht unbedingt neu, aber stimmig.
Komm wir fahren zum Sterben in die Schweiz
Das Thema Sterbehilfe ha...
Windstill - Kinostart: 11.11.2021
Mit jungen Menschen muss man oft Geduld und Nachsicht haben.
Und natürlich gilt das auch für die Filme junger Filmemacher*innen …
Generation Selbstmitleid
Sommer in München: Lara ist eine junge Mutter, der alles zu viel wird. Jacob, d...
Der Brutalist - Kinostart: 30.01.2025
Es ist ein monumentales Werk, keine Frage. Mit 210 Minuten ...
... (inklusive einer 15-minütigen Pause mit Countdown) ist der Film wirklich lang und groß und erzählt von den Jahren 1947 bis 1960, als László Tóth in die USA kam und dort begann, als Architekt einen ganz...
Der goldene Handschuh - Kinostart: 21.02.2019
Im Kino sind Serienmörder stets kultiviert und gebildet. Ihr Vorgehen ist hochkompliziert ...
... und die Mordfälle voller Verwicklungen. Fatih Akin lässt die Verfilmung von Heinz Strunks Roman über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka aber i...



