Joker: Folie À Deux - Kinostart: 03.10.2024

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Fortsetzungen sollten gegenüber ihren Vorgängerfilmen immer einen Mehrwert bieten.
 
Todd Phillips hatte für die Fortsetzung seines Erfolgsfilms von 2019 eine ungewöhnliche Idee ...
 
That’s life!
 
Arthur Fleck sitzt in der geschlossenen Psychiatrie und wartet auf seinen Prozess für die in Teil Eins begangenen Morde. Dort trifft er auf eine junge Insassin, die aus irgendeinem Grund Harleen Quinzel heißt und mit ihm singt und tanzt. Singend und tanzend drehen sich Arthur und seine neue Freundin in ihren Fantasien um sich selbst. Und leider dreht sich dann auch dieser Film nur um sich selbst und um die Fantasie seiner Macher, das alles könnte interessant und unterhaltsam sein.
 
Nachdem Todd Phillips und sein erneuter Co-Autor Scott Silver es sich beim Verfassen des Drehbuchs wieder mal sehr einfach gemacht haben, mache ich es ihnen nach und zitiere einfach mal, was ich vor fünf Jahren über Teil Eins geschrieben habe: „Die Origin-Story funktioniert nicht, weil Arthur am Ende des Films schlicht und einfach NICHT der Joker ist. Ist er nicht. Punkt. Der Joker ist ein wahnsinniger aber trotzdem genialer Verbrecher. Er ist ein Meister der Manipulation, der mit Menschen spielt wie mit Schachfiguren. Der Joker plant Millionendiebstähle, spielt Verbrechersyndikate gegeneinander aus und dann spielt er die Polizei gegen Batman aus. Arthur hat nichts von dem Genie des Jokers. Rein gar nichts.“
 
Daran hat sich leider nichts geändert. Was uns hier in einem zweiten Aufguss wieder mal als „Joker“ verkauft wird, ist ein bemitleidenswerter, schwer gestörter Mensch. Aber mit dem „Joker“ aus den DC-Comics, hat das nix zu tun. Cesar Romero war in der Fernsehserie der Sechzigerjahre näher an der Vorlage dran als der arme Irre, den uns Philips und Silver nun bereits zum zweiten Mal als „Joker“ verkaufen wollen. Ein Joker, der nicht manipuliert und inszeniert, ist kein Joker. Das ist wie ein Faust, der mit sich und seinem Leben zufrieden ist oder ein Hamlet, der seiner Mutter zu überstandener Trauerzeit und Neuvermählung gratuliert und danach mit Ophelia in Liebesurlaub fährt. Natürlich könnte ein Film über einen armen Irren und seine Fantasien trotzdem unterhaltsam sein.
 
Dazu hätten sich die beiden Autoren aber eine neue und vor allem interessante Geschichte einfallen lassen müssen. Oder überhaupt eine Geschichte. Was sie uns stattdessen liefern, ist eine ziemlich beliebige und langweilige Nummernrevue, eingebettet in eine vorhersehbare Rahmenhandlung, die uns nochmal die Story aus Teil Eins erzählt.
 
Phillips und Silver haben sich bei Teil Eins eindeutig von Paul Shraders großartigem Drehbuch zu „Taxi Driver“ inspirieren lassen. Bei Teil Zwei sind die Vorbilder wieder ebenso leicht erkennbar. Ich stelle mir mal vor, die beiden Autoren haben sich im Vollrausch nacheinander oder auch gleichzeitig „Einer flog übers Kuckucksnest“ und „La La Land“ angesehen und danach das verfasst, was als Drehbuch für „Joker: Folie à Deux“ herhalten musste. Und wenn ich „Vollrausch“ schreibe, dann meine ich nicht „Sektlaune“. Ich meine auch nicht „berauscht“ nach dem Genuss rauchigen Whiskeys oder „angeheitert“ von edlem Cognac. Ich meine hackedicht von je einem Kasten Öttinger und einer Flasche Korn vom Discounter.
 
That’s Entertainment
 
Dieser Film spielt in der Wahrnehmung eines schwer gestörten Menschen, der seine Zeit zwischen Psychiatrie und Gerichtssaal verbringt. Und in diesem überaus deprimierenden Setting bekommen wir nicht weniger als 10 (in Worten: zehn) Gesangs- und Tanznummern geboten. Lady Gaga hat im unsäglichen Remake des Remakes des Remakes von „A Star is Born“ weniger gesungen als hier. Und Joaquin Phoenix hat als Johnny Cash in „Walk the Line“ nicht so viel und ausgiebig von seiner Gesangskunst zum Besten gegeben. Und in diesen Filmen ging es um Musiker, nicht um Wahnsinnige. Grundsätzlich wäre rein gar nichts gegen Musiknummern in unpassenden Settings zu sagen. Die Tanzeinlage in der Grand Central Station in „König der Fischer“ war reizend. Als Teenager bin ich auf „Twist & Shout“ sowohl in „Ferris macht blau“ als auch in „Mach’s noch einmal, Dad“ abgefahren. Und „Johny B. Goode“ ist für mich noch immer zuallererst ein Song von Marty McFly und erst dann einer von Chuck Berry. Aber zehn verschiedene Musiknummern, bloß weil die weibliche Hauptrolle von einer erfolgreichen Sängerin gespielt wird, sind schon ein bisschen viel.
 
 
Aber grundsätzlich wäre auch rein gar nichts gegen zehn verschiedene Musiknummern in diesem Film zu sagen. Wenn diese Nummern irgendwie witzig wären. Oder originell. Oder wenn sie ansprechend inszeniert wären. Oder cool. Oder die Handlung vorantreiben würden. Oder wenn auch nur eine dieser zehn Nummern irgendwie auf irgendeine andere Art interessant wäre. Aber leider trifft praktisch nichts davon auf die Musiknummern in „Joker: Folie à Deux“ zu.
 
Erinnern wir uns doch bitte mal alle gemeinsam an einen der größten Musikfilme aller Zeiten, „Blues Brothers“. Und jetzt stellen wir uns „Blues Brothers“ vor, aber ganz ohne Autoverfolgungsjagden und ohne sonstige witzige Einlagen. Und stellen wir uns weiter vor, jede einzelne Musiknummer wäre bloß „Rawhide“. Keine Gaststars. Keine Aretha Franklin. Kein Ray Charles. Kein James Brown. Nichts davon. Nur Jake und Ellwood, die ratlos „Rawhide“ singen, um nicht verprügelt zu werden. Den vergleichbaren Unterhaltungswert bietet „Joker: Folie à Deux“.
 
Vielleicht fragt man sich, warum ich so viel über die mäßig unterhaltsamen Musiknummern schreibe. Das liegt daran, dass der Film sonst inhaltlich nicht viel zu bieten hat. Die Geschichte ist wirr und trotzdem vorhersehbar. Und natürlich ist der Film mit 138 Minuten viel zu lang geraten. Das Bisschen Story hätte man in der Hälfte der Zeit erzählen können.
 
When the saints go marching in ...
 
Dieser Mangel an Inhalt ist jammerschade. Der Film hat wieder einen tollen Look. Ausstattung und computergenerierte Bilder versetzen uns wieder in das fiktive und trotzdem immer authentisch wirkende Gotham der späten Siebziger-/frühen Achtziger Jahre. Und Kameramann Lawrence Sher fängt das Ganze wieder in herrlichen Bildern ein. Eine lange Kamerafahrt während eines Fluchtversuchs gehört zum Coolsten, was wir dieses Jahr im Kino zu sehen bekommen.
 
Aber die Arbeit der vielen Profis hinter der Kamera wirkt leider teilweise ebenso verschwendet wie die mancher Darsteller*innen vor der Kamera. Der stets verlässliche, großartige Brendan Gleeson („The Banshees of Inisherin“) und die ebenso stets verlässliche, großartige Catherine Keener („Get Out“) haben schon so manchen mittelmäßigen Film durch ihre Mitwirkung aufgewertet. Hier tun beide, was sie können. Leider reicht das nicht aus.
 
Joaquin Phoenix ist wieder Arthur Fleck (Tut mir leid. Aber ich kann die von ihm gespielte Figur nicht als „Joker“ bezeichnen). Und auch hier möchte ich nochmal aus meiner Rezension des ersten Teils zitieren: „Wir sehen hier einen Darsteller, der alles gibt, um uns eine zutiefst gestörte Figur zu vermitteln. Und hier haben wir auch den Unterschied zur Leistung des verstorbenen Heath Ledger. Wir erkennen in „Joker“ immer den Schauspieler bei der Arbeit. In „The Dark Knight“ sahen wir einen genialen Wahnsinnigen, der uns Angst machte. Damals war keine Spur von Heath Ledger mehr auf der Leinwand zu sehen.“ Dem ist wenig hinzuzufügen.
 
Außer vielleicht ein weiteres Zitat aus dem Herbst 2019: „Ich lehne mich aus dem Fenster und behaupte mal: Phoenix wird für diese Darstellung mit dem Oscar nominiert und vielleicht sogar ausgezeichnet.“ Ich glaube kaum, dass sich bis zur nächsten Oscarverleihung auch wieder genug Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences von Phoenix‘ Bemühungen blenden lassen.
 
Lady Gaga macht, was sie bereits bei „A Star is Born“ gemacht hat. Sie spielt eine leicht verfremdete Version ihrer öffentlichen Persona und singt dazwischen. Und das macht Frau Gaga nicht schlecht, aber wirklich toll macht sie das wieder auch nicht. Eine erneute Oscarnominierung ist das nun wirklich nicht wert.
 
 
Fazit
 
Jede Menge bestenfalls passabler Musiknummern stellen einen eigenartigen Mehrwert für eine Fortsetzung dar. Wenn die Story dann bloß aus einer Nacherzählung der Handlung von Teil Eins besteht, ist das Gesamtergebnis kaum den Preis einer Kinokarte wert.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Todd Phillips
  • Drehbuch: Scott Silver
  • Besetzung: Joaquin Phoenix, Lady Gaga