Was wäre, wenn Geld plötzlich keinen Wert mehr hätte? Wie würde ...
... die Welt dann funktionieren? Könnte sie überhaupt noch funktionieren? Und kann ein Film, der sich mit dieser Frage beschäftigt funktionieren?
Die Masse der Menschen führt ein Leben stiller Verzweiflung
Laura hat es geschafft. Durch Fleiß, Intelligenz und ein nicht unbeträchtliches Maß an Härte hat sie sich die langersehnte Beförderung ins Top-Management ihres Konzerns erarbeitet. In den Nachrichten wird zur gleichen Zeit von einer unbekannten Krankheit berichtet, die Milliardäre dahinrafft. Laura muss sich aber auf ihre Karriere konzentrieren. Und dann ist da ja noch die lästige Kleinigkeit mit ihrem Exmann, der die gemeinsame Teenager-Tochter bei sich behalten möchte. Die weltweite Seuche greift unterdessen von den Milliardären auf die Millionäre über. Und Lauras Aktienpaket, das sie zur Beförderung bekommen hat, ist wirklich ein Vermögen wert …
Galder Gaztelu-Urrutia („Der Schacht“ und „Der Schacht 2“) stellt in seinem neuen Film die Frage: „Was wäre, wenn Geld plötzlich nicht nur keinen Wert mehr hätte, sondern tatsächlich belastend und gefährlich wäre?“. Wie würde die Welt dann funktionieren? Könnte sie überhaupt noch funktionieren? Und könnte eine Person, der Geld immer immens wichtig war, die den größten Teil ihres Lebens alles dafür getan hat, vor allem Geld zu verdienen, in dieser Welt funktionieren?
View the embedded image gallery online at:
https://cinepreview.de/index.php/item/1077-rich-flu-kinostart-12-12-2024%22#sigProIdb61a9cd541
https://cinepreview.de/index.php/item/1077-rich-flu-kinostart-12-12-2024%22#sigProIdb61a9cd541
Galder Gaztelu-Urrutia macht als Regisseur und Co-Autor buchstäblich von der ersten Szene an fast alles richtig. Der Beginn von „Rich Flu“ ist einer der originellsten und wirkungsvollsten Einstiege in einen Film, den ich dieses Jahr gesehen habe. Laura arbeitet für ein großes Filmstudio. Am Rande einer großen Veranstaltung lässt sie sich von verschiedenen Kreativen deren Ideen für kommende Filme vortragen. Einen „pitch“ nach dem anderen hört sie sich an, reagiert professionell, hört aktiv zu und der Betrachter erkennt sofort, diese Laura ist ein Profi.
Bloß beim letzten dieser „pitches“ reagiert sie abwertend. Und wir merken, diese Geschichte, die ihr in wenigen Sätzen vorgetragen wird, ist kein „pitch“ und ihr Gesprächspartner ist kein verzweifelter Filmemacher, der Geldgeber für sein Projekt sucht. Es ist ihr Exmann, der versucht, Laura davon abzuhalten, die gemeinsame Tochter zu entwurzeln. Und schon hat es Gaztelu-Urrutia mit dieser kurzen Szene geschafft, uns innerhalb weniger Minuten ganz viel über die Heldin zu vermitteln und uns intelligent zu unterhalten.
Das Drehbuch wurde von David Desola und Pedro Rivero (beide auch „Der Schacht“ und „Der Schacht 2“), sowie dem noch recht unbekannten Sam Steiner und Gaztelu-Urrutia selbst verfasst. Selten hat man uns eine Hauptfigur schneller, weniger umständlich und trotzdem so gründlich kennenlernen lassen wie in „Rich Flu“. Nach drei Minuten wissen wir bereits sehr viel über diese Laura. Zwei Minuten später verrät eine kleine Bemerkung über ihre alte Armbanduhr dem aufmerksamen Betrachter noch ein bisschen mehr. Nach weiteren drei Minuten wissen wir nach einer brillant geschriebenen kurzen Szene, in der Laura eine Konkurrentin ausschaltet, sie ist nicht durch bloßes Glück dorthin gekommen, wo sie nun angekommen ist.
Diese Laura hat das Business und die Jagd nach Geld zu ihrem Lebensinhalt gemacht. Sie ist Teil eines Systems das funktioniert. Nach ungefähr 20 Minuten des Films stellen wir fest, diese Laura, die sich verbal durchaus zu wehren weiß, beginnt selbst in Stresssituationen nie zu streiten. Sie streitet nicht mit der Konkurrentin die vorne liegt. Sie widerspricht nicht dem Mitreisenden im Privatjet oder dem hochrangigen Konzernmitarbeiter, der sie im Hundeschlitten abholt statt in einer Limousine. Sie widersetzt sich nicht den Soldaten, die sie abholen sollen sondern fügt sich zum Schein. Streiten wäre unprofessionell und diese Laura ist ein Profi. Profis funktionieren. Und Profis sorgen dafür, dass das System funktioniert.
Die Autoren und der Regisseur von „Rich Flu“ sind ebenfalls Profis. Sie sorgen dafür, dass ihr Film funktioniert. Über die Seuche erfahren wir zunächst aus dem Fernsehen und dem Internet. Aber wo es in anderen Filmen schnell nervt, wenn immer die passenden Nachrichten im passenden Moment am Bildschirm zu sehen sind, ergibt das hier Sinn. Diese Protagonisten sind ständig online. In ihren Lobbys und Büros laufen ständig auf Nachrichtensender eingestellte Fernseher im Hintergrund. Diese und viele andere Ideen der Filmemacher funktionieren. Sie funktionieren sogar sehr gut.
Der Preis einer Sache ist die Menge an Leben, die man dafür eintauscht
Manche Ideen funktionieren so gut, man wünscht, der Film würde sich mehr Zeit für sie nehmen. Die Frage, „Was wäre, wenn Geld plötzlich nicht nur keinen Wert mehr hätte, sondern tatsächlich nur noch belastend wäre?“ hätte nähere Betrachtung verdient. Eine Szene in der Laura versucht, ihren loyalen Assistenten hereinzulegen, ist gut geschrieben und effizient inszeniert. Aber es ist schade, nicht mehr von einer Welt zu sehen zu bekommen, in der Menschen plötzlich vor Reichtum zurückschrecken und Geld aktiv meiden. In einer Zeit, in der allzu viele Filme unnötig lang und damit langweilig sind, ist „Rich Flu“ in dieser Hinsicht ein wenig zu kurz geraten.
Aber die Macher dieses Films hatten jede Menge Ideen. Einige sind wirklich großartig. Die Massenflucht von Yachten übers Mittelmeer und ein grausamer Scherz der lybischen Küstenwache sind originelle Einfälle, die von Gaztelu-Urrutia trotz wohl überschaubaren Budgets hervorragend umgesetzt werden. Die Gewalt unter den Passagieren eines Hubschraubers und die rasche, offene Feindseligkeit in einer Kommune lassen erkennen, wie schnell die Fassade der Zivilisation quer durch das politische und wirtschaftliche Spektrum bröckeln kann.
An einer oder zwei Stellen des Films hatten die Macher vielleicht zu viele Ideen und wollten ein bisschen zu viel. Der Deal, den eine Mutter und Großmutter eingeht, um eine Mittelmeerpassage im Schlauchboot zu „erkaufen“, ist auf dem afrikanischen Kontinent leider längst keine Seltenheit mehr. In diesem Film ergibt er aber in dem Kontext wenig Sinn und gehört zu den wenigen Teilen des Films, die nicht recht funktionieren. Auch kann man irgendwann nicht mehr ignorieren, wie wenig wir über andere Figuren des Films erfahren. Lauras Tochter bleibt während des gesamten Films ein reines Handlungselement.
Aber am Ende überwiegen die Teile des Films, die funktionieren. Ein Film wie dieser kann unmöglich ein Happy End haben. Aber das Ende dieses Films ist nicht nur un-happy, es ist ebenso hoffnungs- wie trostlos. Weil wir die Hauptfigur und mit ihr den Typus Mensch, für den sie steht, während des gesamten Films aber so gut kennengelernt haben, ergibt dieses Ende Sinn. Das Ende ist keine bloße Pointe. Es ist stimmig. Es funktioniert.
Lieber als Geld, als Ruhm, gib mir die Wahrheit!
Zu den vielen Teilen des Films, die funktionieren, gehört vor allem die Besetzung. Timothy Spall ist einer dieser brillanten, britischen Darsteller, die so oft in kleineren Rollen in großen Produktionen einen bleibenden Eindruck hinterlassen (z.B. in der Rolle des langjährigen Haustiers von Ron Weasley in dieser Filmreihe über eine schwer zu erreichende Internatsschule). Hier vermittelt er uns in der kleinen Rolle des Konzernchefs die beiläufige Gefährlichkeit der Superreichen, die gar nicht mehr wahrnehmen können, wie menschenverachtend und bizarr ihr Handeln längst geworden ist. Leider vermittelt sein Sohn Rafe Spall vor allem, dass Charisma nicht vererbbar ist.
Er ist einer dieser Nebendarsteller, die man in jedem Film noch vor dem Abspann vergessen hat. Oder erinnert sich etwa jemand an die Leistungen von Spall Junior in Filmen wie „Prometheus“, „Life of Pi“, „Jurassic World: Das gefallene Königreich“ oder „Men in Black: International“? Na also. Über seine Leistung in diesem Film kann man sagen, sie funktioniert.
Zunächst war ich der Meinung, Regisseur Galder Gaztelu-Urrutia wußte genau, was er tat, als er die großartige Lorraine Bracco („Good Fellas“) für seinen Film besetzt hat. Immerhin lässt er uns zunächst zweimal nur Braccos unverwechselbare Stimme hören (die fast das einzig gute an dem unsäglichen live-action-Remake von „Pinocchio“ war), bevor wir die Darstellerin zum ersten Mal zu sehen bekommen. Aber danach verkommt auch ihre Rolle leider zu einem reinen Handlungselement. Das funktioniert, stellt aber trotzdem eine Verschwendung dar.
Wie auch ihre Figur im Film, müsste Mary Elizabeth Winstead in ihrer Karriere längst viel mehr erreicht haben. Sie leistet seit Jahren großartige Arbeit in schwierigen Filmen wie „10 Cloverfield Lane“ oder „Swiss Army Man“. Und sie hat dafür gesorgt, dass „Kate“ noch der beste der vielen Rache-Action-Reißer mit weiblicher Hauptfigur der letzten Jahre war. Hier stemmt sie die schwierige Aufgabe, eine von vorneherein unsympathische Figur so zu spielen, dass wir uns mit ihr identifizieren können und wir unbedingt erfahren wollen, wie es mit ihr weitergeht. Wie viele echte Karrierefrauen einen großen Teil der Arbeitslast ganzer Abteilungen tragen, trägt Mary Elizabeth Winstead weite Teile dieses Films auf ihren Schultern. Damit lässt sie diesen Film funktionieren.
Fazit
Dieser Film steckt so voller Ideen, dass wir ihm kleinere Defizite durchaus verzeihen können und wollen. Die originelle Story, die effiziente Regie und die hervorragende Hauptdarstellerin lassen diesen schwierigen Film sehr gut funktionieren.
Unterstütze CinePreview.DE:
|
Ähnliche Kritiken
Curveball: Wir machen die Wahrheit - Kinostart: 09...
In diesem Film geht es um Massenvernichtungswaffen und ...
... amerikanische und deutsche Interessen. Es geht um Flüchtlinge und Innenpolitik. Es geht um das Drama eines Mannes mit einer Mission, um das Ende der Bonner Republik und den Umzug der Regi...
Glück ist was für Weicheier - Kinostart: 07.02.201...
Anca Miruna Lăzărescu hat einen überraschenden Film inszeniert. Einen Film, ...
... der eine ganz gewöhnliche Geschichte auf ungewöhnliche Weise erzählt.
Tod – Tanz des Lebens
Jessica ist zwölf Jahre alt. Jessica le...
Suicide Tourist - Kinostart: 02.07.2020
Es dauerte fünf Jahre, bis Jonas Alexander Arnby nach seinem ...
... Debütfilm WHEN ANIMALS DREAM sein nächstes Werk präsentieren konnte. Erneut arbeitete er mit Autor Rasmus Birch zusammen - und wie bei ihrem ungewöhnlichen Werwolffilm versu...
Berlin Nobody - Kinostart: 01.08.2024
Jordan Scott, Tochter von Regielegende Ridley Scott, legt ihren zweiten Spielfilm vor ...
... – und landet mit „Berlin Nobody“ auf der Nase. Was spannendes Thriller-Kino am Puls der Zeit sein möchte, entpuppt sich als lieblos zusammengebastelte Stangenware.
O...