John Wick: Kapitel 4 - Kinostart: 23.03.2023

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Also gibt es nun ein viertes Abenteuer des Killers, der selbst im Ruhestand ...
 
... nicht von seiner Arbeit ablassen kann. Aber ist daran irgendetwas neu?
 
Such is life
 
Treue Leser*innen wissen, ich beginne Rezensionen gerne mit einem kurzen Ausblick auf die Handlung. Aber „John Wick: Kapitel 4“ hat keine Handlung im herkömmlichen Sinne des Wortes. „Typ schießt unheimlich viele Leute tot, während um ihn herum unheimlich viele Leute andere Leute totschießen, damit am Ende (Spoiler!) ein bestimmter Typ totgeschossen werden kann“ ist keine Handlung. Das ist vielleicht so etwas wie ein Konzept, aber keine Handlung. Und dieses Konzept sehen wir nun zum vierten Mal in Serie umgesetzt.
 
Und wieso auch nicht? Filmserien sind fast so alt wie das Kino selbst. Die ersten Filme rund um die „Keystone Kops“ kamen vor dem ersten Weltkrieg heraus und waren nicht einmal wirklich die erste Filmserie der Filmgeschichte, sondern bloß die älteste, an die man sich noch erinnert. Und wie die „Keystone Kops“ lebt auch der Witwer mit den kugelsicheren Anzügen in einer eigenen Welt. Diese Welt hat ihre eigene Physik und selbst die Anatomie ihrer Bewohner ist eine ganz andere, als die der Menschen die unsere Welt bewohnen.
 
Multiple Stürze aus großer Höhe sind dort nicht geeignet, jemanden ernsthaft zu verletzen. Außer manchmal, dann stirbt jemand am Aufprall. Aber meistens nicht. Feine Herrenanzüge halten sogar Salven aus Sturmgewehren stand. Außer wenn sie es eben nicht tun. Und das gilt nicht bloß für den Helden. Selbst Nebenfiguren sind in der Welt von John Wick fast unzerstörbar. Außer wenn das Drehbuch ihren Tod verlangt. Dann ändert sich das plötzlich. Wie bei den „Keystone Kops“ bleibt fast alles Geschehen folgenlos, außer eben das Drehbuch verlangt Folgen. Dann ändert sich die Physik dieser Welt plötzlich.
 
Der Held ist ohnehin nicht einfach nur unzerstörbar. John Wick ist halb Gummiball und halb Flugzeugblackbox. Ich habe gar nicht versucht, zu zählen, wie oft er aus großer Höhe gestürzt ist und anschließend weiter laufen und kämpfen konnte, weil wir diese Fähigkeit aus seinen früheren Abenteuern zur Genüge kennen. Aber im Verlauf dieses Films wird Wick mehr als ein halbes Dutzend Mal von einem Auto in voller Fahrt angefahren. Den meisten Menschen passiert sowas nie, einigen von uns vielleicht einmal im Leben. Jeder, der öfter als zweimal im Leben von einem Auto angefahren wird, ist entweder sehr dumm oder ein Versicherungsbetrüger.
 
 
In einer der erfolgreichsten Filmserien der Dreißigerjahre spielte der österreichische Charakterschauspieler Peter Lorre den japanischen Detektiv „Mr. Moto“. Lorre, den wir heute noch aus Meisterwerken wie „M-Eine Stadt sucht einen Mörder“ oder „Casablanca“ kennen, hat die Aufgabe, einen Japaner zu spielen, besser bewältigt, als man erwarten durfte. Trotzdem ist seine Darstellung mittlerweile natürlich als rassistisches Klischee zu betrachten. Zum Glück haben sich unsere Gesellschaft und das Kino in den letzten Achtzig Jahren weiter entwickelt. Oder vielleicht doch nicht?
 
In der Welt von John Wick sind alle Ausländer kriminell und kein einziger kann auch nur halbwegs passables Englisch sprechen. Der geniale Bösewicht spricht wie die Parodie eines stockfranzösischen Oberkellners in einem schlechten Restaurantsketch. Japaner sprechen immer abgehackt und laufen dauernd im Kimono rum. Deutsche sind in der Welt von John Wick fett und stoßen tatsächlich noch den Fluch „Schweinhund“ aus.
 
Nicht „Schweinehund“, was auch niemand im deutschen Sprachraum als Fluch gebraucht, sondern „Schweinhund“. Für die weniger kulturhistorisch bewanderten: Den Ausdruck „Schweinhund“ kennt man nur von deutschen Offizieren in alten amerikanischen Kriegsfilmen. Vor diesem Film hat man den Begriff vermutlich zuletzt von Sig Ruman in einem alten Marx-Brothers-Film gehört.
 
Aber meine Lieblingsfiguren in der Welt von John Wick sind die Russen. Ach ja, die Russen ... Kriminell und gewaltbereit sind ja praktisch alle Figuren in der Welt des John Wick. Aber Russen haben keinerlei Impulskontrolle, sind alle extrem tätowiert, viele sind gepierct und sie ernähren sich nur von Wodka. Diesen verwenden sie auch zur Wundversorgung, nachdem sie sich bei archaischen Ritualen selbst verstümmelt haben. Und challe spreijchen mjiet schwjiäre Akkzjient. Chist schwer zu verrstijenhen, Russen in Fjilm. Eine der russischen Nebenfiguren im Film kann nur einen einzigen Satz sagen. Und den nicht besonders gut. Ja, so sind sie die Russen ...
 
 
I’m going to kill them all
 
Die wohl erfolgreichste und am längsten laufende Serie der Filmgeschichte beschreibt die Abenteuer eines Geheimagenten, dessen Reisekostenabrechnung wir wohl alle einmal sehen möchten. Vor allem diejenigen der mittlerweile 25 James-Bond-Filme, die ernst genommen werden wollen, fallen besonders lächerlich aus. Zuletzt lautete der Filmtitel sogar „Keine Zeit zu sterben“ und am Ende ... naja. Bond-Filme sind so hanebüchen, dass man sie kaum parodieren kann. Der typische Beitrag zur Serie ist bloß eine Handvoll Penis- und Furzwitze von einer Parodie entfernt.
 
Und auch die Abenteuer von John Wick erinnern mittlerweile an die Serie über den Agenten mit dem unbegrenzten Spesenkonto und grenzen an Selbstparodie. Wovon lebt John Wick eigentlich? Er macht seit vier Filmen nichts anderes als Leute totzuschießen. Die billigste Munition im Kaliber 9mm Para kostet um die 10 Euro für 50 Schuss. Damit hätte John Wick noch nix Gutes gekauft, sondern ganz unten ins Regal gegriffen. Aber selbst bei einem Zehner für 50 Schuss, muss Herr Wick bei seinem Lieferanten mittlerweile mit einer sechsstelligen Summe in der Kreide stehen. Und diese kugelsicheren Anzüge bekommt man ja sicher auch nicht bei kik.
 
Auch der Schurke in Teil Vier erinnert frappant an jeden Bondbösewicht. Da sind zunächst mal die lächerlich komplizierten Pläne, die immer extrem aufwendig und teuer sein und logistische Alpträume darstellen müssen und sich niemals amortisieren können. Der Bösewicht in „John Wick: Kapitel 4“ lässt an einer Stelle ein Hochhaus in Manhattan zerstören, das seiner eigenen Organisation gehört, bloß um ein Zeichen zu setzen. Später hetzt er erst den American-Muscle-Car-Club, Zweigstelle Paris, auf den Helden, dann sämtliche Mitglieder des BMW-E60-Owners-Clubs und am Ende jeden männlichen Bewohner der französischen Hauptstadt, der gerade Zeit und Zugang zu einer Schusswaffe hatte.
 
Der Schurke hier zeigt auch die typischen affektierten Verhaltensweisen aller Bond-Bösewichte. In seiner ersten Szene trinkt er Kaffee aus dekadentem Porzellan und macht eine Riesennummer daraus ohne jemandem etwas anzubieten. In der zweiten Szene hat er das Torten- und Kuchenbuffet Ludwig XIV. aufgebaut, um möglichst gespreizt ein Stücken Kuchen zu essen, wieder ohne jemandem etwas anzubieten. Später gewährt er Audienz in seinem privaten Louvre vor unbezahlbaren Meisterwerken, um seine Gesprächspartner zu beeindrucken, bevor er am Ende vor einem großflächigen Modell der Stadt Paris Hof hält. Ziemlich viel Aufwand, um allen zu verdeutlichen, was für ein Armleuchter er ist. Hätte er nicht einfach die ganze Zeit eine Katze auf dem Schoß streicheln können?
 
In modernen Filmserien wie der „Transformers“-Reihe oder Superhelden-Filmen werden während der Kämpfe regelmäßig Städte verwüstet und kein Mensch schert sich wirklich um die unschuldigen Opfer. Ja, zuweilen zickt Batman mal rum, aber grundsätzlich steht man den furchtbaren Folgen für Unbeteiligte eher gleichgültig gegenüber. „John Wick: Kapitel 4“ bietet hier einmal tatsächlich etwas Neues. In diesem Film zeigen sich die Unbeteiligten zur Abwechslung mal der Gewalt gegenüber komplett gleichgültig. In einem Berliner Club feiert das Partyvolk komplett unbeeindruckt von minutenlangem, multiplen Mord und Totschlag auf der Tanzfläche. Ich weiß, Berliner sind hart drauf. Aber so?
 
Das Drehbuch von Shay Hatten („Army of the Dead“) und Michael Finch („Predators“) erinnert mit seinen überzogenen Figuren und einer Handlung, die nur mehr von dem bietet, was man bereits kennt, an gut gemeinte Fanfiction. Die Dialoge sollte man einfach als Erholung von der ewigen Schießerei nutzen und besser nicht wirklich zuhören und vor allem keine Sekunde über das nachdenken, was die Figuren auf der Leinwand von sich geben. Meine Lieblingsdialogstelle im Film lautet: „A man’s ambitions should never exceed his worth“. Was für ein Stuss.
 
Nowhere to run to Die Regie dieses vierten Ausflugs in die Welt des trauernden Killers hat wieder Chad Stahelski übernommen. Der ehemalige Stuntman hat vor „John Wick: Kapitel 4“ nur drei Filme inszeniert. Diese hießen „John Wick“, „John Wick: Kapitel 2“ und „John Wick: Kapitel 3“. Die bisherige Regiekarriere von Herrn Stahelski hat also etwas Monothematisches. Aber dafür kennt er sich mit Mord und Totschlag aus. Das ganze Schießen, Hauen und Stechen hat wieder einen gefälligen, glatten Look. Mit indifferenten Tänzern, quadratmetergroßen Blutpfützen auf Schotterboden und anderem Unsinn wirkt der Film aber auch visuell oft lächerlich.
 
Wenn zu Beginn des Films, in einer Sequenz die an „Lawrence von Arabien“ erinnert, mal von links nach rechts und dann wieder von rechts nach links durchs Bild geritten wird, ohne dass die Verfolgungsjagd wirklich ihre Richtung geändert hätte und man von einem Beobachter nicht sagen kann, ob er nun von der einen oder der anderen Seite zugesehen hat, erkennen wir früh, Stahelski kennt seine vielen Vorbilder, hat sie aber nie richtig verstanden.
 
Eine gewisse innere Logik von Zeit und Raum zu beachten, scheint dem vierfachen „John Wick“-Regisseur schwer zu fallen. Nach einem Kampf treffen einander zwei Figuren zufällig in der U-Bahn, obwohl eine der beiden die Kampfstätte Minuten früher und in eine andere Richtung verlassen hat. Während es in New York City tiefster, verschneiter Winter ist, scheint es in Paris Frühsommer zu sein, obwohl die beiden Städte durchaus in vergleichbaren Klimazonen liegen. Die Sonne geht in Paris übrigens südlich vom Montmartre auf.
 
Geografie ist also nicht die starke Seite von Regisseur Chad Stahelski. Ähnliches gilt für die Arbeit mit Schauspielern. Keanu Reeves spielt den gewaltbereiten Witwer wieder mit entschlossenem Blick und gedämpfter Stimme. Seine Darstellung ist so verhalten, der geneigte Zuseher kann alles Mögliche hineininterpretieren. Und man sollte besser geneigt sein, so etwas cool zu finden. Nur dann funktioniert Reeves‘ Darstellung.
 
Ian McShane macht was Ian McShane seit Jahrzehnten in Produktionen wie „Death Race“ oder „Die Säulen der Erde“ macht. Er wirkt vage bedrohlich und enigmatisch, während er in Gedanken die Gage zählt. Ähnliches gilt für Laurence Fishburne, obwohl es lange her ist, dass Fishburne bedrohlich gewirkt hat. Ich würde nie behaupten, Filmemacher würden Fishburne immer dann anrufen, wenn sie sich Samuel L. Jackson nicht leisten könnten. Aber irgendeine Erklärung muss es für Fishburnes viele Filmauftritte der letzten Jahre doch geben.
 
Donnie Yens Darstellung eines blinden Kämpfers, der sämtlichen Schergen trotz fehlenden Augenlichts überlegen ist, bietet natürlich viel Neues ... für jeden Filmfan, der „Rogue One: A Star Wars Story“ nie gesehen hat.
 
Bill Skarsgårds Rolle als Oberbösewicht „Marquis de Gramont“ habe ich bereits erwähnt. Der Part ist ja schon lächerlich überzogen geschrieben. Aber die Zirkusnummer, die Skarsgård hier zum Besten gibt, lässt seine Darstellung des Pennywise in den beiden Kapiteln von „Es“ vergleichsweise kammerspielartig und subtil wirken.
 
Der noch recht unbekannte Shamier Anderson spielt eine Rolle, die fast nichts zur Handlung beiträgt. Und er spielt sie sehr stimmig, denn seine Darstellung trägt auch nichts zum Film bei. Aber seine Figur sorgt dafür, dass wieder ein Hund im Film vorkommt. Und was für einer! Wenn die Welt von John Wick demnächst weiter ausgebaut wird (und wer kann daran zweifeln?), wäre ich für eine eigene Serie über den Hund.
 
 
Fazit
 
Wie bei vielen Filmserien leider üblich, bietet auch „John Wick: Kapitel 4“ nichts Neues. Sehr viel Mord und Totschlag, rassistische und andere Filmklischees, generische Darstellungen von Schauspielern, die tatsächlich mehr draufhätten und das alles vor gefälligen Kulissen rechtfertigen die Laufzeit von 169 Minuten (!) kaum.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Chad Stahelski
  • Drehbuch: Michael Finch
  • Besetzung: Keanu Reeves, Ian McShane