The Banshees of Inisherin - Kinostart: 05.01.2023

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Echte Filmfans möchten nicht immer bloß Comicverfilmungen, ...
 
... Actionfilme und romantische Komödien im Kino laufen sehen. Echte Filmfans möchten auch ab und zu etwas Besonderes sehen …
 
Everything was fine yesterday
 
1923 auf einer Insel in Sichtweite der irischen Küste: Auf dem Festland tobt der Bürgerkrieg. Aber Padraic (Colin Farrell) hat andere Sorgen. Sein Freund Colm reagiert einfach nicht, als er ihn zum täglichen Pub-Besuch abholen möchte. Der alleinstehende Colm bleibt einfach in seinem kleinen Häuschen sitzen und öffnet nicht einmal die Tür. Das bringt nicht nur Padraics Tagesablauf durcheinander. Als Colm später erklärt, er wolle mit seinem langjährigen Freund nichts mehr zu tun haben, gerät dessen ganzes Weltbild ins Wanken. Padraic will alles wieder wie früher haben. Aber Colm ist fest entschlossen, seinen früheren Freund zu meiden …
 
Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh hat bisher drei Filme gemacht. Sein Erstling „In Bruges“, war eine Meditation über Ehre und Loyalität, einer der originellsten Filme der letzten Zwanzig Jahre und ein verkanntes Meisterwerk. „Seven Psychopaths“ war leider nicht ganz gelungen, aber für launige Unterhaltung dann doch zu gut gemacht. „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ war weder Rache- noch Justizdrama, auch wenn er so vermarktet wurde. Der Film war eine Meditation über Rache und Justiz und über von Männern ausgehende Gewalt.
 
Zwei von McDonaghs bisherigen drei Filmen waren also Meditationen über schwierige Themen. Und der Filmemacher bleibt sich treu. Denn auch „The Banshees of Inisherin” ist wunderschön und traurig, witzig und erschütternd, unterhaltsam und tiefgründig. Und für den aufmerksamen Filmfan ist „The Banshees of Inisherin” eine Mediation über Freundschaft, über Männer ohne Frauen, über den Mangel an Möglichkeiten in provinzieller Umgebung und über die Angst vor Veränderung. Vor allem ist der Film aber eine Meditation darüber, wie viel Macht geliebte Menschen über uns haben.
 
Wir können Padraics Verzweiflung nicht einfach nur nachvollziehen. Wir verzweifeln mit ihm, wenn er daran scheitert, zu seinem Freund durchzudringen. Und diese Verzweiflung steigert sich, wenn die Situation immer weiter eskaliert. Ein Abschied und ein weiterer Verlust lassen Padraics Verzweiflung schier unerträglich werden.
 
Aufmerksame und treuer Leser*innen wissen, wie wenig Zurückhaltung ich in meinen Rezensionen oft in Bezug auf „Spoiler“ erkennen lasse. Das liegt an der tumben Vorhersehbarkeit der weitaus meisten Filme. Aber in „The Banshees of Inisherin” geht es nicht darum, ob der Superheld den Superschurken besiegen oder ob die Zeitbombe rechtzeitig entschärft werden kann. Auch nicht darum, ob die attraktive und herzensgute Heldin am Ende mit dem eitlen, egoistischen Arsch oder trotz aller Missverständnisse doch mit dem attraktiven und herzensguten Helden zusammenkommt. In „The Banshees of Inisherin” geht es um echte Menschen und echte Gefühle. Es geht um das echte Leben und alles was darin wichtig ist. Und das Leben ist eben oft nicht vorhersehbar.
 
Einen Film wie „The Banshees of Inisherin” sollte man sich nicht einfach nur im Kino ansehen. Auf einen Film wie diesen muss man sich einlassen. Wer sich diesen Film ansieht, sieht hervorragend aufgenommene Bilder der kargen und doch wunderschönen irischen Küstenlandschaft. Wer sich auf den Film einlässt, erkennt wie diese Landschaft ein Teil ihrer Bewohner ist und umgekehrt.
 
Wer sich den Film ansieht, kann sich über die großartigen Dialoge amüsieren. Wer sich darauf einlässt, erkennt wie viel wichtiger all das ist, was nicht ausgesprochen wird. Wir fühlen das Leid von Männern, die in ihrer Zeit und in ihrer Umgebung das sein mussten, was damals und dort als „männlich“ galt und die kaum je gelernt haben, Gefühle auszudrücken. Wie soll man(n) mit emotionalen Krisen umgehen können, wenn man(n) noch nicht einmal gelernt hat, über Gefühle zu sprechen? 
 
 
What’s the matter with everybody?
 
Colin Farrell hat sich im Laufe der letzten Jahre zu einem der vielfältigsten Charakterschauspieler des internationalen Films entwickelt. Seine Leistungen in großartigen aber schwierigen Filmen wie „The Lobster“, „The Beguiled“ oder „The Killing of a Sacred Deer“ werden von der Kritik immer verdient gefeiert. Leider nimmt das Publikum diese kaum wahr und sieht Farrell vor allem in Filmen wie „Artemis viel zu faul“ oder „Phantastische Tierwesen und wie man mit ihnen noch mehr Geld macht“.
 
In „The Banshees of Inisherin” gelingt Farrell ein ganz besonderes Kunststück. Durch seine subtile Darstellung identifizieren wir uns ganz unwillkürlich mit einer Figur, mit der sich moderne, anspruchsvolle Filmfans kaum identifizieren können sollten. Aber doch fühlen wir mit diesem etwas schlichten, durchaus egoistischen, recht provinziellen Menschen, der vermutlich noch nie seine Insel verlassen hat und den zu Beginn des Films nur sein Esel und seine Pub-Besuche mit seinem Freund interessieren. Farrell liefert hier die reife Darstellung eines unreifen Charakters.
 
Wer Brendan Gleeson nur als kunstaugetragenden Zauberpolizisten aus dieser Filmserie rund um eine schwer zu erreichende Internatsschule kennt, kann einem leidtun. Nicht nur weil einem dann Gleesons großartige Darstellungen komplexer Charaktere in Filmen wie „In Bruges“, „The Guard“ oder „Calvary“ entgangen sind. Sondern weil man in besagter Filmserie Gleesons Gesicht nie richtig zu sehen bekommen hat.
 
Wenn man sehr viel erlebt hat, sehr viel gesehen hat und all das Erlebte und Gesehene im richtigen Verhältnis aus Schönem und weniger Schönem bestanden hat und man dann noch viel Glück hatte, bekommt man irgendwann ein Gesicht wie Brendan Gleeson. Dieser Mann hat die Art von Gesicht, dem man gegenüber sitzen möchte, wenn man mal sein Herz ausschütten oder mal ernsthaft über das Leben, das Universum und den ganzen Rest sprechen muss.
 
Und Gleeson spielt mit diesem Gesicht, wie Yehudi Menuhin auf einer Stradivari spielte. Fast immer sanft und immer subtil, erzielt er enorme Wirkung mit feinen kleinen Bewegungen dieses Gesichts. Gleeson kann uns mit seinen Augenbrauen niederschmettern. Er kann uns mit einem Blick das Herz brechen. Seine Darstellung eines Mannes in der Krise verwundet uns fast ebenso, wie seine Figur sich selbst verwundet.
 
Barry Keoghan hat bereits in jungen Jahren in „The Killing of a Sacred Deer“ neben Colin Farrell gespielt und beeindruckt. Hier amüsiert uns seine Darstellung eines jungen Mannes, der für seine Umwelt zu wenig „Mann“ ist, bis wir irgendwann merken, dass an dieser Figur nur wenig amüsant und vieles tragisch ist.
 
Kerry Condons Stimme haben Filmfans, die Marvel-Filme in der Originalfassung sehen, jahrelang immer dann gehört wenn das Betriebssystems des „Iron Man“-Anzugs Tony Stark über Feinde, Fehlfunktionen und Schäden informiert hat. Das Gesicht zur Stimme kennt man zum Beispiel aus „Better Call Saul“. In „The Banshees of Inisherin” spielt sie nun Colin Farrells Schwester und stellt damit sowohl das emotionale als auch rationale Zentrum dieses Films dar.
 
 
Fazit
 
Ein ganz besonderer Film über ganz normale Menschen. Wer wieder einmal etwas Besonderes im Kino sehen möchte, muss nun nur noch eine Eintrittskarte kaufen.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Martin McDonagh
  • Drehbuch: Martin McDonagh
  • Besetzung: Colin Farrell, Brendan Gleeson