Der kleine Nick erzählt vom Glück - Kinostart: 01.12.2022

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Nach drei Realfilmen und einer Zeichentrickserie kommt nun ...
 
... ein Film über die Entstehung des kleinen Nick in die Kinos. Und der Film bleibt seiner Vorlage treu ...
 
Aufs Glück muss man nicht warten
 
Paris 1955: Der junge Zeichner Jean-Jacques Sempé und sein Freund, der Texter René Goscinny, entwickeln die Figur des kleinen Nick. Bald kommen Nebenfiguren dazu und Nicks kleine Welt wird etwas größer. Bald tritt der kleine Held in Dialog mit seinen Schöpfern. Zwischen seinen eigenen Abenteuern erfahren wir in den Gesprächen ein wenig über die beiden „Väter“ des kleinen Nick ...
 
Der kleine Nick ist der Held einer Serie von Kinderbüchern, die in ihrer Heimat Frankreich extrem populär und im deutschen Sprachraum auch durchaus bekannt sind. Zusammen mit Nick erleben wir die kleine Welt eines Pariser Vororts mit seiner Schule, seinen Eltern, seinen Nachbarn und Freunden aus der Sicht dieses Kindes.
 
1957 war es etwas Besonderes, Bildergeschichten aus der Sicht eines Kindes zu erzählen. Wenn Nick die Welt der Erwachsenen nicht versteht, sie nicht verstehen mag und ihr mit seiner kindlichen Sicht der Dinge begegnet, sorgte das für Amüsement. Aber 1957 war es auch etwas Besonderes, einen Fernseher im Haus zu haben. Und so ist der einzige, aber schwerwiegende Kritikpunkt dieses Films von 2022, dass er einfach nicht in unsere Zeit passt.
 
Das beginnt bereits bei der visuellen Gestaltung. Man muss zugeben, der Look des Films entspricht ganz wunderbar den Zeichnungen des im August verstorbenen Sempé. Davon mögen sich Fans des kleinen Nick angesprochen fühlen. Filmfans, die nicht auch Fans des kleinen Nick sind oder diese Figur bisher gar nicht kannten, sehen einen Film, dessen sehr simple 2D-Animation an Zeichentrickserien aus längst vergangenen Jahrzehnten erinnert. Im Jahr 2022 sprechen statische, nur halb ausgearbeitete Hintergründe und sich ruckartig und ständig gleich bewegende Figuren bestenfalls einen kleinen Teil des Publikums an.
 
Und natürlich wirken auch die Abenteuer des kleinen Nick sehr nostalgisch. Im ersten Kapitel bekommt die Familie ihren ersten Fernseher geliefert. Die Komik der Situation soll wohl daraus entstehen, dass Mutter und Vater sich erst mit der Frage nach dem Aufstellort des Geräts befassen, als der Fernsehtechniker das schwere Gerät in Armem haltend bereits durch ihren Wohnraum stolpert und sein Gesichtsfarbe unter der Anstrengung einen zunehmend kräftigeren Rotton annimmt. Als meine Großeltern noch jung waren, hat man über so etwas geschmunzelt.
 
Im zweiten Abenteuer sollen die Spannungen zwischen Nicks Papa und Großmutter erheiternd wirken. Den jüngeren unter unseren Leser*innen sollte ich das erklären. Vor vielen Jahrzehnten befasste sich einen großer Teil des gewerbsmäßig hergestellten Humors mit Schwiegermüttern. Das ist ein bisschen so, wie sich heutige Comedy-Autoren gerne an Vegetariern abarbeiten. Oder an Frauen die Schuhe kaufen. Das dritte Kapitel des Films zeigt einen Lehrer, der seine Autorität nicht recht durchzusetzen weiß und das vierte Nicks Überraschung darüber, dass Mädchen auch Fußball spielen können. Der Rest der kleinen Geschichten wirkt ähnlich altmodisch.
 
 
Schreib eine neue Geschichte
 
Und ähnlich altmodisch und unkritisch nostalgisch sind auch die illustrierten Erinnerungen gestaltet, die seine Schöpfer mit dem kleinen Nick teilen. Sempé erwähnt kurz seinen Armeedienst, als wäre dieser bloß eine etwas peinliche Anekdote gewesen. Aber Sempé war Jahrgang 1932 und hat daher sicher in den frühen Fünfzigerjahren „gedient“. Damals war Frankreich mit dem Indochinakrieg (sowas wie der fast vergessene, erste Teil des Vietnamkriegs. Im viel bekannteren Teil Zwei waren die Amerikaner dann die Hauptdarsteller) gut ausgelastet und trotzdem auch noch mit Truppen am Koreakrieg beteiligt. In dieser Zeit in Frankreich Soldat gewesen zu sein, war sicher mehr als eine bloße Anekdote.
 
Das Frankreich der Neunzehnfünfzigerjahre hatte mehr mit der Bundesrepublik dieser Zeit gemeinsam als die Bürger eines der beiden Länder damals bereit gewesen wären zuzugeben. In beiden Ländern verweigerte man sich einer echten Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit. Und so wie man in Deutschland daher weite Teile des Machtapparates des dritten Reiches in Form von Richtern, Staatsanwälten, Polizei und Regionalpolitikern einfach übernommen hatte, wurde auch in Frankreich kaum gefragt, wie gut die offiziellen Stellen zwischen 1941 und 1944 mit den Besatzern zusammengearbeitet hatten. Man sah sich als Opfer. Das musste reichen.
 
René Goscinny war jüdischer Abstammung. Trotzdem wirkt seine kurze Erinnerung an die Zeit des dritten Reiches bloß wie eine unlustige Anekdote. Ein paar Minuten lang werden die Farben des Films ein bisschen gedeckter. Der Erzähler spricht weniger lebhaft. Dabei bleibt es dann aber auch.
 
Wenn Sempé dem kleinen Nick vom frühen Tod seines Freundes Goscinny 1977 erzählt, wird der Film noch einmal kurz nachdenklich. Der Zeichner erklärt Nick, dass dieser durch und in den Büchern ewig leben würde. Das mag sein. Aber die Relevanz der Bücher wird nicht immer die Gleiche sein und hat sich tatsächlich längst verändert. Doch damit mag sich der Film auch nicht befassen.
 
Wie erwähnt, hat „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ Filmfans, die die nicht auch Fans des kleinen Nick sind oder diese Figur bisher gar nicht kannten, nur wenig zu bieten. Aber selbst Fans des kleinen Nick erfahren nur wenig über diese Figur und seine Schöpfer. Vor allem erfahren sie nichts Neues. Daran ändert auch die Mitwirkung von Anne Goscinny, der Tochter René Goscinnys, als Drehbuchautorin nichts.
 
Am Ende fragt man sich auch, warum Goscinny und Sempé ihrer Schöpfung im Film so wenig über ihre sonstige Arbeit erzählen. Vielleicht versteht der kleine Junge nicht, was „The New Yorker“ ist. Das „MAD-Magazine“ wird kurz erwähnt, aber gleich wieder vergessen. Aber für Umpah-Pah, das gallische Dorf, Isnogud und vor allem Lucky Luke hätte sich der neugierige kleine Nick doch sicher brennend interessiert. Auch hier verschenkt dieser betuliche, fast schon biedere, kleine Film viele Möglichkeiten.
 
 
Fazit
 
Ein Film wie aus der Zeit gefallen. Sowohl der visuelle Stil als auch der Inhalt wirken leider sehr altmodisch. Das entspricht zwar der Vorlage, wird aber nur wenige Filmfans ansprechen.  
 
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Amandine Fredon
  • Drehbuch: Benjamin Massoubre