Smile - Kinostart: 29.09.2022

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Gerade bei Horrorfilmen ist man ja oft schon froh, wenn sie nur ...
 
... halbwegs gut gemacht sind. Aber ein Film kann halbwegs gut gemacht sein und nicht wirklich gut genug …
 
I know, you’re nervous
 
Die Psychotherapeutin Dr. Rose Cotter hat einen schweren Tag. Eine Patientin erzählt ihr panisch von Visionen, die sie heimsuchen seit sie einige Tage zuvor zufällig Zeugin eines Selbstmords war. Die junge Frau ist verzweifelt. Entsetzliche Angst erfüllt sie. Doch plötzlich ist die Patientin ganz ruhig. Mit einem gruseligen Lächeln auf dem Gesicht schlitzt sie sich vor den Augen der Therapeutin selbst die Kehle auf. Kurze Zeit später beginnt auch Rose Dinge zu sehen, die gar nicht wirklich da sein können …
 
Würden wir bei cinepreview.de Schulnoten für Filme vergeben, hätte „Smile“ eine 3 bekommen. Zum Glück sind wir bei cinepreview.de einfallsreicher als der durchschnittliche Lehrer und machen uns die Arbeit auch ein bisschen schwerer. Denn die Note 3 besagt zwar, die Leistung würde im Allgemeinen den Anforderungen entsprechen und das trifft auf „Smile“ im Großen und Ganzen durchaus zu. Aber die 3 steht auch für „befriedigend“. Und der Eindruck, den dieser Film beim Betrachter hinterlässt ist leider gar nicht „befriedigend“. Zu viele vergebene Chancen, zu viele ungenützte Möglichkeiten und zu viele vermeidbare Fehler verhindern, dass man den Kinosaal „befriedigt“ verlässt.
 
Parker Finn hat mit „Smile“ nicht nur seinen ersten Spielfilm inszeniert. Er hat auch das Drehbuch auf der Grundlage seines Kurzfilms „Laura Hasn’t Slept“ von 2020 geschrieben. Vor allem das Drehbuch hätte dringend von jemandem mit mehr Erfahrung und etwas professioneller Distanz zum Projekt überarbeitet werden müssen. Wenn Menschen im realen Leben Geschichten erzählen, vergessen sie manchmal elementare Einzelheiten, denken nicht daran wichtige Verbindungen zu erwähnen oder Grundlegendes zu betonen. Dafür verzetteln sie sich zuweilen in Nebensächlichkeiten. Ähnliche Fehler unterlaufen Finn in seinem Drehbuch.
 
Dem Publikum bleibt nichts anderes übrig als aufmerksam zu bleiben und zu warten. Vielleicht werden offene Fragen ja noch beantwortet. Kommt der Neffe nochmal vor? Warum haben wir ihn nochmal am Fenster gesehen, wenn er nicht nochmal vorkommt? Wieviel älter ist die Schwester? Sie muss deutlich älter sein, sieht aber nicht so viel älter aus. Warum wurde das Haus denn wirklich nicht verkauft? Warum wechselt der Verlobte von Szene zu Szene seinen Charakter? Kommt der denn wenigstens nochmal vor? Woher weiß der Polizeibeamte, wo er Rose findet? Und wie hätte der Plan am Ende jemals funktionieren sollen? Und was hat es mit dem Plakat zu einem alten Film mit Robert Redford auf sich?
 
Es ist ein Jammer, wenn sich das Publikum mit diesen und weiteren unergiebigen Fragen beschäftigen muss, während das Drehbuch viel bessere Fragen zu stellen gehabt hätte. Einige dieser Fragen werden sogar kurz angerissen, aber dann leider wieder vergessen. Was passiert mit Menschen, die anderen helfen ohne sich selbst zu helfen? Was bedeutet es für Therapeuten, einen Patienten falsch eingeschätzt und ihm geschadet zu haben? Darf man Expartner in verzweifelten Situationen ausnutzen? Könnte man einen Mord begehen, um sich selbst zu retten? Könnte man jemanden opfern, der ohnehin kein angenehmes Leben hat?
 
Parker Finns Drehbuch ist eine Sammlung ungenutzter Möglichkeiten. Vielleicht hat Finns Vorstellungskraft dann doch nicht ausgereicht. Vielleicht war er von seiner Grundidee zu begeistert, um ein funktionierendes Ganzes zu schaffen. Vielleicht wollte das Studio das Honorar eines guten Script-Doctors sparen. Es ist schwer zu sagen, warum das Drehbuch so weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Einfacher zu sagen ist da schon, warum die Regie so überaus mittelmäßig ausfällt.
 
 
I promise, this is a safe place
 
Parker Finn hat offensichtlich viele Filme gesehen. Das ist für einen Regisseur eigentlich etwas Gutes. Von Peter Bogdanovich bis Quentin Tarantino waren einige der besten Regisseure aller Zeiten echte Filmfreaks. Aber Parker Finn hat nie gelernt, zwischen gelungeneren und weniger gelungeneren Filmen zu unterscheiden. Und so lässt „Smile“ zwar einerseits einige nette eigene Einfälle und eine oder zwei passable Reminiszenzen erkennen. Andererseits wirkt der Film allzu oft furchtbar unoriginell und strotzt vor Klischees.
 
Nach einem Streit schläft der Verlobte auf der Couch. Das Haus des Paares hat zwar ein paarhundert Quadratmeter Wohnfläche und damit sicher mindestens ein Gästezimmer, aber so ist das nun mal nach einem Streit. Da schläft einer auf der Couch. Die Heldin ist zu Beginn des Films immer adrett gekleidet und frisiert. Kaum setzen die Visionen ein, trägt sie nur mehr übergroße Kapuzenpullover und Strickjacken, deren Ärmel einen halben Meter länger sind als ihre Arme. Und das Haar hängt wirr ins Gesicht. Eine Therapeutin hört von der Patientin Furchtbares und fragt tatsächlich „And how does that make you feel?“
 
Die Heldin wird von schrecklichen Visionen geplagt. Trotzdem ist die Behausung der armen Frau spärlicher beleuchtet als die Burg von Graf Dracula. Und so besteht das Haus nicht aus Wänden, Türen und Möbeln sondern praktisch nur aus Schatten, aus denen nichts Gutes auftauchen kann. Als ich nach der Pressevorführung von „Smile“ heimgekommen bin, habe ich bei mir daheim mehr Lampen angemacht als im ganzen Film zu sehen waren. Ich glaube zwar nicht an Dämonen und wenn, hätte ich keine Angst vor ihnen. Aber meine Frau war nicht zuhause und es war wirklich schon spät und überhaupt, wozu ein Risiko eingehen?
 
Es ist traurig zu sehen, wie wenig Vertrauen Regisseur Parker Finn in den psychologischen Horror von Parker Finns Drehbuch hat. Immer wieder zeigt er uns Schockbilder, die den Film oft nicht aufwerten. Teilweise wirken diese Bilder nicht nur überflüssig sondern sogar lächerlich, wie im Falle eines Selbstmords mit einer Heckenschere oder eines Bildes anhand dessen eine Frau ihren toten Mann identifizieren musste. Dabei lässt Finn in einer frühen Szene mit einem klingelnden Telefon, das fast nicht mehr gehört worden wäre, durchaus Sinn für subtilen Horror erkennen. Aber schon wenn ein Siebenjähriger sein Geschenk auspackt, ist nichts mehr subtil. Alles muss in allen Details gezeigt werden.
 
Beim Finale versagen dann Drehbuch und Regie gleichermaßen. Man kann einem Dämon nicht mit seiner eigenen Logik beikommen. Vor allem wenn diese Logik zuvor schon nicht schlüssig war. Und so ergibt der Plan der Heldin nicht den geringsten Sinn. Am Ende verlangt man ein bisschen arg viel vom Publikum, wenn wir in der letzten Szene plötzlich Anteil am Schicksal einer Nebenfigur nehmen sollen, die zuvor während des gesamten Films nie ein echter Charakter sondern immer nur ein bloßes Handlungselement war. Wir wissen praktisch nichts von dieser Figur und plötzlich sollen wir uns Sorgen um sie machen?
 
Can you look at me, please?
 
Nicht nur diese sondern auch viele weitere Nebenfiguren lassen uns gleichgültig, weil sie nicht nur nachlässig und uninteressiert geschrieben sondern auch kaum besser dargestellt werden. Jessie T. Usher („Independence Day – Resurgence“) spielt den Verlobten nicht, er markiert ihn bloß. Kyle Gallner („Scream“) spielt einen unglücklich verliebten Polizeibeamten. Dass er unglücklich, verliebt und Polizeibeamter ist, erfahren wir hauptsächlich aus dem Dialog. Seine Darstellung vermittelt kaum etwas davon. Kal Penn spielt Roses Vorgesetzten wie ihn ein paar Tausend andere Schauspieler in Hollywood auch gespielt hätten.
 
Es sind die weiblichen Darstellerinnen, die diese Besetzung vor der Gesamtnote „mangelhaft“ retten. Robin Weigert („Deadwood“) wirkt professionell wo sie professionell zu wirken hat und umso bedrohlicher wo sie bedrohlich wirken soll. Die unbekannte Gillian Zinser ist wunderbar unsympathisch als egozentrische Vollzeitmutter. Caitlin Stasey („Tomorrow, when the war began“) rührt uns mit ihrer verzweifelten Angst bevor sie uns für den Rest des Films Angst macht.
 
Sosie Bacon war mir bisher noch in keinem Film aufgefallen. Sie ist vermutlich keine große Schauspielerin, schlägt sich aber in der nicht zu Ende geschriebenen Hauptrolle wirklich tapfer. Ihre Figur muss im Angesicht des drohenden Wahnsinns die Teile eines dämonischen Puzzles zusammensetzen. Und die Darstellerin muss die Löcher der Handlung mit Dialog stopfen. Irgendwie bewältigt Bacon beide Aufgaben.
 
 
Fazit
 
Die Teile des Films, die nicht funktionieren und jene, die funktionieren, halten sich ziemlich die Waage. Das würde für einen halbwegs gelungenen Film reichen. Die vielen verschenkten Möglichkeiten wiegen aber schwerer und lassen den Film leider scheitern.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Parker Finn
  • Drehbuch: Parker Finn
  • Besetzung: Sosie Bacon, Jessie T. Usher