Tod auf dem Nil - Kinostart: 10.02.2022

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Kenneth Branaghs neueste Agatha-Christie-Verfilmung ist ein wirklich sehr schöner Film.
 
Aber ist „Tod auf dem Nil“ auch ein guter Film?
 
How many great stories are tragedies?
 
Stories folgen bei der Agatha Christie selig fast immer dem gleichen Muster: Jede Menge reiche Leute laden Meisterdetektiv Hercule Poirot ein, damit er Gelegenheit bekommt, Opfer, Verdächtige und Zeugen bereits vor dem Verbrechen kennenzulernen. Dann passiert ein Mord. Poirot befragt und verdächtigt jeden der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Am Ende erklärt er dann die ganze Geschichte in allen Einzelheiten und entlarvt den oder die wahren Täter. Der oder die sind dann auch immer so nett, alles recht flott zuzugeben.
 
Agatha Christie war eine der erfolgreichsten und überschätztesten Schriftstellerinnen aller Zeiten. Auch wenn sie die Kriminalliteratur zu ihrer Zeit um einige neue Elemente bereichert hat, waren ihre Plots leider fast immer gleichzeitig formelhaft und an den Haaren herbeigezogen. Alleine ihr Standard-Trick, Poirot oder Miss Marple in aller Regel bereits vor dem Mord sämtliche Beteiligten kennenlernen zu lassen, ist ermüdend. Jeder Kripobeamte täte sich auch viel leichter, wenn man ihn bereits vor einem Verbrechen gerufen hätte.
 
Kenneth Branagh ist ein erfolgreicher und überschätzter Regisseur. Sein gelungenster Film war noch sein Erstling, „Heinrich V.“. Aber selbst damals waren ihm Blut und Kampfgetümmel wichtiger als andere Aspekte des Shakespeare-Dramas. Einige Zeit später sollte er die erste werkgetreue Verfilmung von Mary Shelleys „Frankenstein“ drehen. Aber statt sich auf die psychologischen Aspekte zu konzentrieren, fügte er zusätzliche Gruselszenen hinzu und ließ seinen Victor Frankenstein mit blankem Oberkörper durchs Labor toben.
 
Sein Versuch aus einem weiteren Werk Shakespeares ein Filmmusical zu machen, war tatsächlich „Verlorene Liebesmüh‘“. Mit „1 Mord für 2“ verfilmte er ein Meisterwerk neu und zeigte, dass er auch hier das Original nicht ganz verstanden hatte. Sein „Thor“ war einer der langweiligsten Beiträge zum Marvel-Universum. Auch der misslungene „Jack Ryan: Shadow Recruit“ sollte wohl den Auftakt zu einer Serie bilden. Und weil vor fünf Jahren genug Leute Tickets für „Mord im Orient Express“ gekauft haben, bekommen wir nun eine weitere Agatha-Christie-Verfilmung mit Branagh als Hauptdarsteller und Regisseur.
 
Branagh Vorlagen von Agatha Christie verfilmen zu lassen, ergibt durchaus Sinn. Christie ging es nie um die Psychologie ihrer Figuren. Sie packte immer nur eine Menge Vertreter der High Society an einen möglichst exklusiven Ort und ließ eine absurde Handlung ablaufen. Und auch Branagh scharrt einfach eine hochklassige Besetzung um sich und lässt sie dann holzschnittartige Charaktere darstellen und lächerliche Dialoge vortragen. Dabei lässt er seine Darsteller*innen genauso übertreiben wie seine Ausstatter, Set-Designer und Location-Scouts.
 
 
The romance of the desert has the power to seduce
 
Denn Branagh kocht hier wieder nach dem gleichen Rezept wie zuletzt bei „Mord im Orient Express“: Berühmte Menschen in fantastischer Umgebung zu zeigen. Und diesmal würzt Branagh noch schärfer und verwendet noch reichhaltigere Zutaten. Vor fünf Jahren haben wir den wunderschönen Orient Express durch das Istanbul der Vergangenheit rasen und in einer fantastischen Landschaft stehen sehen, die es nirgendwo auf der Route dieses Zuges zu sehen gibt, weil der Orient Express nun mal nicht durch Mittelerde fährt.
 
Aber wo der Orient Express bloß wunderschön war, ist der Flussdampfer „Karnak“ prachtvoll anzusehen. Das Schiff bildet nicht nur eine eindrucksvolle Kulisse. Es ist einer der Hauptdarsteller des Films. Und dabei agiert es viel gelassener und natürlicher als seine menschlichen Co-Stars, wenn es an der atemberaubenden Landschaft des Nils vorbeizieht. Eine sehenswerte Sequenz zeigt uns den Tempel von Abu Simbel in seiner ganzen Schönheit an seinem alten Standort. Das ist wahrhaft großes Kino.
 
Die Ausstattung des Films wirkt erlesen. Die Kostüme sind von höchster Qualität. Der Spanier Paco Delgado hat bereits die Darsteller von Filmen wie „Les Misérables“ oder „The Danish Girl“ eingekleidet. Es braucht sicher nicht viel, um Damen wie Gal Gadot, Emma Mackey oder Letitia Wright gut aussehen zu lassen. Aber in Delgados Kostümen sieht sogar Russel Brand wie ein Gentleman aus. Und das will etwas heißen.
 
„Tod auf dem Nil“ ist also wirklich wunderschön anzusehen. Das ist auch besser so. Denn teilweise kann man sich nur wundern, um was für merkwürdige Einfälle Drehbuchautor Michael Green die Vorlage bereichert hat. Andererseits hat Green die Drehbücher zu solchen Filmen wie „Green Lantern“, „Blade Runner 2049“ und „Mord im Orient Express“ verfasst. Also muss man sich vermutlich nicht einmal wundern, warum Green meint, eine aufwendige, pathetische und absolut überflüssige „Origin-Story“ für Poirots Schnurrbart liefern zu müssen.
 
The murderer is one of you
 
Aber Aufwand, Pathos und Überfluss war wohl genau das, was Branagh bestellt hatte. Als Regisseur braucht man jede Menge Pathos, um seine Darsteller*innen so gnadenlos übertreiben zu lassen. Gal Gadot war großartig als „Wonder Woman“, weil sie Kraft und Intelligenz vermitteln konnte. Aber selbst die von ihr gespielte Figur in „Date Night“ war nicht so dumm und hohl wie die Millionenerbin in diesem Film. Es ist sehenswert, wie elegant Gadot über die Defizite ihrer Rolle hinwegspielt.
 
Ähnliches gilt für die noch recht unbekannte Emma Mackey. Sie hat wohl früh erkannt, dass man eine so dumm geschriebene Rolle nicht wirklich „darstellen“ kann. Mackey stellt also keinen Charakter dar, weil es da keinen Charakter darzustellen gibt. Sie „wirkt“ einfach nur. Und so wirkt sie abwechselnd verliebt, verzweifelt und gefährlich und dabei immer bezaubernd.
 
Arnie Hammer („Lone Ranger“) macht, was er immer macht und am besten kann: Er sieht in vorteilhafter Kleidung gut aus. Das können aber jede Menge andere Schauspieler in Hollywood genauso gut. Wenn Herr Hammer in nächster Zeit also nicht mehr gar so oft auf der Leinwand zu sehen sein wird, hinterlässt er keine Lücke.
 
Annette Bening („American Beauty“) und Letitia Wright („Black Panther”) sind beide viel zu gute Schauspielerinnen für ihre lächerlichen Rollen. Wenn man sie auf der Leinwand sieht, kann man sich vorstellen, wie es sein muss, wenn einem ein Nobelpreisträger für Medizin einen Pickel ausdrückt.
 
Warum Jennifer Saunders und Dawn French eine reduzierte Version ihrer alten Sketch-Show aufführen, ist unklar. Ebenso unklar wie die Besetzung von Russell Brand („Arthur“) in einer Rolle, die auch jeder andere männliche Darsteller seiner Altersgruppe genauso gespielt hätte.
 
Der Rest des Ensembles schlägt sich wacker. Kenneth Branagh bemüht sich wieder verzweifelt, seinem Poirot Tiefe und Charakter zu verleihen. Man merkt ihm die Mühe an, was ihn nur noch deutlicher scheitern lässt. Wenigstens hat er den Schnurrbart seit dem letzten Film etwas gestutzt.
 
 
Fazit
 
Klischeehafte Figuren plaudern sich durch einen lächerlichen Plot. Weil die Ausstattung, die Kostüme, die Drehorte und die Besetzung fast durch die Bank erstklassig sind, ist das alles aber wunderschön anzusehen. Ein wunderschöner, aber leider ansonsten mittelmäßiger Film.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Kenneth Branagh
  • Drehbuch: Michael Green
  • Besetzung: Gal Gadot, Armie Hammer