Ein Junge namens Weihnacht - Kinostart: 18.11.2021

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Überteuerter Punsch, Firmenweihnachtsfeiern, Schokolade die nach Zimt ...
 
... schmeckt und „Last Christmas“ über die Lautsprecheranlage im Kaufhaus sind nur einige wenige der eher unangenehmen Begleiterscheinungen des Weihnachtsfests. Eine weitere sind Weihnachtsfilme für die ganze Familie.
 
Stille Nacht, heilige Nacht, …
 
Der elfjährige Nikolas lebt mit seinem Vater in einer Art Märchenversion von Finnland. Märchenversion, weil Finnland in diesem Film einen König hat. Und auch weil Nikolas Mutter natürlich leider verstorben ist und er mit seinem Vater ganz allein in einer Hütte im Wald lebt. Und weil sein Vater ihn am Anfang des Films ganz allein bei einer gemeinen Tante zurücklassen muss. Und weil Nikolas sich, nur begleitet von einer Maus, auf eine gefährliche Reise machen muss …
 
Wie soll man einen Film wie „Ein Junge namens Weihnacht“ rezensieren? Der Film ist in jeder Hinsicht mittelmäßig und gäbe es nicht jedes Jahr gegen Ende November einen Bedarf an „Kinohighlights zur Weihnachtssaison“ und „großen Familienabenteuern“ (Zitate aus dem Pressetext zum Film), würde sowas wohl nie den Weg ins Kino finden. Nachdem ich den Film analysiert habe, kann ich auf Wunsch gerne erklären, warum man für, wie Schiller es ausdrückte „Zitronen, Zucker, Wasser und Geist“ keine 4,50 € pro Becher zahlen, mit Kollegen nicht saufen und keine Schokolade mit Zimtgeschmack essen muss. Zu „Last Christmas“ habe ich vor zwei Jahren bereits ganze Absätze verfasst.
 
Wie beim teuren Punsch vom Stand am Weihnachtsmarkt, sind schon die Zutaten dieses Films von bestenfalls mäßiger Qualität. Im Film wirken einige bekannte Darsteller mit, so wie im Punsch auch immer bekannte Zutaten enthalten sind, damit einem der Geschmack der Brühe vertraut vorkommt. Aber die Qualität der Kameraarbeit, des Schnitts und der computergenerierten Bilder entspricht der Qualität des billigen Schnapses, der dem dampfenden Inhalt der Keramikbecher im Dezember die richtige Drehzahl verleiht.
 
Regie führte Gil Kenan, der bisher drei Filme Spielfilme inszeniert hat. Weder „Monster House“, „City of Ember“ noch das Remake von „Poltergeist“ haben irgendeinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und weder der visuelle Stil des Films noch das Spiel der Darsteller in dieser Weihnachtsmann-Origin-Story lassen vermuten, dass Regisseur Kenan bisher zu Unrecht verkannt wurde. Aber der Punsch am Weihnachtsmarkt wird schließlich auch nicht von Sterneköchen zusammengerührt.
 
Das Drehbuch hat Kenan zusammen mit Ol Parker nach einer Vorlage von Matt Haig verfasst. Parker hat bisher an den Drehbüchern für „The Best Exotic Marigold Hotel“, „The Second Best Exotic Marigold Hotel“ und “Mamma Mia! Here we go again!” mitgearbeitet. Und wie bei diesen drei Filmen ist auch an „Ein Junge namens Weihnacht“ alles recht lieb, süß und gefällig. Es gibt einen freundlichen, halbwüchsigen Helden, es gibt Wichtel und Elfen und einen König, der zwar zerstreut aber gütig ist.
 
Ach ja, eine sprechende Maus ist auch dabei. Ein Zerwürfnis zwischen zwei Völkern wird recht schnell beseitigt und am Ende ist alles wieder gut und so lieb, süß und gefällig, dass man meint, Schokolade zu schmecken, die nicht nur mit Zimt und Zucker sondern auch noch mit jeder Menge Süßstoff versehen wurde.
 
 
Lasst uns froh und munter sein …
 
Die Besetzung hat etwas von einer Firmenweihnachtsfeier. Da sind zunächst mal jede Menge Darsteller, die an Kollegen erinnern, die sich auf der Feier ganz anders benehmen als sonst im Büro. Toby Jones hat in so unterschiedlichen Filmen wie „Dame, König, As, Spion“ oder „Captain America“ gezeigt, dass er einer der großartigen Charakterdarsteller unserer Zeit ist. Hier erinnert er an einen Vorgesetzten, der sich einen Bart angeklebt hat um den lustigen Weihnachtsmann zu geben und nun von seinen Mitarbeitern erwartet, dass sie das nun auch gefälligst alle witzig finden.
 
Kristen Wiig („Brautalarm“, „Paul“) ist eine ebenso begabte dramatische Darstellerin wie brillante Komikerin. In diesem Film lässt sie keines ihrer Talente auch nur erahnen und erinnert an eine Kollegin, die man sonst immer geschätzt hat und sympathisch fand und bei der man sich fragt, warum sie ausgerechnet bei der Weihnachtsfeier so komisch drauf ist.
 
Jim Broadbent ist einer dieser großen britischen Theatermimen, die auf der Leinwand praktisch in jeder Rolle brillieren können. Das hat er in weit mehr als hundert Filmen bewiesen, darunter „Moulin Rouge“, „Cloud Atlas“, „The Iron Lady“ und viele mehr. Hier wirkt er verloren und übertreibt maßlos in seiner Rolle als König. Man fühlt sich an einen alten, kurz vor der Rente stehenden Kollegen erinnert, der mit den jungen Leuten beim Punschtrinken mithalten wollte.
 
Maggie Smith war unter anderem McGonagall in der „Harry Potter“-Serie und Violet Crawley in „Downton Abbey“. Sie ist längst die große alte Dame des britischen Films und weiß selbst, dass sie viel zu gut ist, um hier in der Rahmenhandlung die Erzählerin zu geben. Man darf sie sich als Firmengründerin vorstellen, die sich freundlicherweise auf der Weihnachtsfeier kurz unter die Belegschaft mischt obwohl sie es nicht nötig hätte und der das Ganze aber dann doch recht bald zu langweilig wird.
 
Man muss sich fragen, was die Produzenten geritten hat, die bezaubernde Sally Hawkins („The Shape of Water“) als machthungrige, rachsüchtige Anführerin der Wichtel zu besetzen. Sie ist als böse Wichtlin oder eben Bösewichtlin keine Sekunde glaubwürdig. Wie eine seit Jahrzehnten liebe, brave und biedere Sekretärin von ihren Kollegen nicht ernst genommen werden kann, wenn sie bei der Firmenweihnachtsfeier mal die Sau rauslassen und verrucht sein will, so kann man auch Hawkins als Schurkin nicht wirklich ernst nehmen.
 
Inmitten dieses ganzen Trubels steht der junge Henry Lawfull als Titelheld und kann wie ein überforderter Praktikant auf seiner ersten Firmenweihnachtsfeier nur freundlich, erstaunt und verwirrt dreinschauen. Beeindrucken wird er damit niemanden und seine Beurteilung wird das auch nicht verbessern.
 
Noch ein Hinweis zur Eignung des Films als „großes Familienabenteuer“: Ich schreibe diese Zeilen im Oktober. Die Altersfreigabe dieses Films steht daher noch nicht fest. Wie ich die FSK kenne, wird es aber auf „ab 6 Jahren“ rauslaufen. Und selbst ein „ab 12 Jahren“ erlaubt es Eltern ja, den Film mit ihren sechsjährigen Kindern zu sehen. Weil eine Entführung und der Tod eines Elternteils im Film aber unnötig detailliert gezeigt werden, kann ich allen Eltern nur raten, den Film bloß mit Kindern zu sehen, die schon älter sind. Man nimmt seine Sechsjährigen schließlich auch nicht mit auf die Firmenweihnachtsfeier, damit sie sehen wie sich der Lagerist und der Pförtner im Suff prügeln.
 
 
Fazit
 
So wie man in der Adventszeit mit seinen Kindern einfach Weihnachtsmärkte besuchen und in der Fußgängerzone die Schaufenster mit den motorisierten Steiff-Tieren anschauen muss, so muss man sich eben auch „Kinohighlights zur Weihnachtssaison“ wie dieses ansehen. Das vertreibt den Kindern die Wartezeit bis zum Heiligen Abend. Und als Erwachsener muss man sowas ebenso aushalten können wie die Weihnachtsfeier der Firma.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Gil Kenan
  • Drehbuch: Gil Kenan
  • Besetzung: Henry Lawfull, Jim Broadbent